Digitales und IT-Beratung

Banking 2.0 - Sind Banken bereit für die Digitalisierung?

Kunden wollen mit Banken digital interagieren - vom Mobile Banking bis zur Kreditvergabe per App. Die Finanzindustrie muss diesen Ansprüchen gerecht werden.

Die Digitalisierung verändert die Art und Weise, wie wir unsere Umwelt wahrnehmen und mit ihr interagieren. Treiber ist die verfügbare Technologie. Durch diese verändern sich Erwartungen und Nutzerverhalten im Alltag eines Jeden.  


Und die Finanzindustrie? Wie tief hat die Digitalisierung diesen Zweig erfasst? Nach dem „Millennial Disruption Index“ ist die Bankenindustrie die Branche, die am ehesten von Branchenverwerfungen betroffen ist. Die Finanzindustrie wäre nicht die einzige, die von digitalen Transformationen überrascht wird. Andere Branchen mussten dies schon schmerzhaft erfahren. Wer erinnert sich nicht an Kodak, Agfa, Weltbild oder den Brockhaus? Auch die Medienindustrie hat die Digitalisierung fast „verschlafen“. Einige sind rechtzeitig aufgewacht – andere nicht.


Bankenmarkt im Wandel


Der Bankenmarkt befindet sich im Wandel. Online und Mobile Banking-Trends ebenso wie die voranschreitende Digitalisierung der Gesellschaft verändern das Konsumentenverhalten. Doch was bedeutet „digital“ für Banken und ihre Kunden? Ich habe mir dazu in den letzten Monaten ein paar Zahlen notiert, die ich in verschiedenen Medien fand. Eine Kostprobe gefällig? 765 Millionen US-Dollar haben Risikokapitalgeber bisher in FinTech-Firmen gesteckt – nur in 2014. 3500 dieser Bankkonkurrenten gibt es bereits. Alipay, das Zahlsystem des chinesischen Providers Alibaba hat 300 Millionen Nutzer, PayPal alleine in Deutschland 15 Millionen. Eine Million Kunden meldeten sich innerhalb einer Woche nach Launch von ApplePay beim kontaktlosen Zahlverfahren an. Besonders aber schockt die Meinung der Pre-Millienials, also der Generation, die zwischen 1981 und 2000 geboren wurde. Nach dem „Millennial Disruption Index“ ist die Bankenindustrie die Branche, die am ehesten „reif“ für eine Zerstörung ist.


Die Zahlen sprechen für sich. Doch hat man wirklich Vertrauen in diese Angebote? Kunden künftiger Generationen denken und handeln in anderen Dimensionen. Eine Untersuchung des Kernkompetenzzentrums Finanz- & Informationsmanagement (FIM) von 2012 belegt, dass circa 40 Prozent der Befragten glauben, im Jahr 2025 würde das Vertrauen in „Facebook-Freunde“ höher sein als in Bankangestellte. Die Finanzindustrie hat, nimmt man die Chronologie ernst, nur elf Jahre Zeit, diesen Trend zu ihren Gunsten zu drehen. Heute wird der Kaufprozess noch linear von der Kundenanfrage bis zum Auftrag vorwiegend durch Beratung in der Filiale abgewickelt. Zukünftig wird er verstärkt mehrdimensional  beeinflusst durch die Möglichkeiten der Kunden, in sozialen Netzwerken eigene Recherchen und Vergleiche durchzuführen und nach Meinungen zu fragen.


Neue Angebote erobern die Finanzindustrie


Die klassische Wertschöpfungskette der Universalbank lässt sich damit in ihrem Umfang kaum noch halten. Innovative Unternehmen- sowohl FinTechs als auch große IT-Anbieter - greifen sich immer mehr Teile dieser Wertschöpfungskette heraus und zerlegen damit das Geschäftsmodell klassischer Universalbanken. Dies wird vor allem diejenigen Banken treffen, die das klassische Universalbankprinzip zum Kerngeschäftsmodell gemacht haben.


Aus meiner Sicht zeichnen sich folgende Trends bei digitalen Angeboten aus dieser Wertschöpfungskette ab:

  1. E-Payment – Angebote wie Paypal, Apple Pay, Google Wallet u. ä.
  2. Vermittlung von klassischem Kreditgeschäft – Angebote beispielsweise von Lending Club, Zencab u. ä.
  3. Angebote zur Vermögensverwaltung – z.B. von Wealthfront u. ä.

 

Damit setzt sich der Trend zur Umgehung von Banken als Verbindungsglied zwischen kapitalsuchenden und kapitalanlegenden Marktteilnehmern fort. Das Finanzierungsverhalten von Unternehmen hat sich spätestens seit der Finanzkrise mehr und mehr in Richtung Kapitalmarkt verlagert.    

Diese Situation ist für IT-Bereiche von klassischen Finanzdienstleistern doppelt fatal: Auf der einen Seite müssen sie Business Enabler sein, um ihre Institutionen in die neue digitale Welt zu führen – vom Generieren neuer (digitaler) Angebote, der Adaption bestehender Services, durch Partizipation an der FinTech Szene bis zum Einführen neuer Formen des Kundenmanagements (in Echtzeit etc.). Auf der anderen Seite sind die IT-Abteilungen Schützer des operativen Betriebs und müssen eine hohe Verfügbarkeit und Vertraulichkeit von Online-Transaktionen sicherstellen.  

Durch den Markt wird alles getan, um dieses Gleichgewicht zu stören: Neue Wettbewerber drängen mit innovativen Geschäftsmodellen in den Markt und IT-Verantwortliche melden einen Anstieg von Cyberangriffen.  


Als wäre dies nicht für eine Branche im Wandel schon Herausforderung genug, tritt jetzt auch noch das Bundesministerium des Inneren auf den Plan und möchte mit einer neuen Gesetzgebung eine signifikante Verbesserung der Sicherheit informationstechnischer Systeme in Deutschland erreichen. Mit Inkrafttreten dieses neuen Gesetzes sieht sich das Finanzdienstleistungsgewerbe auch auf dem Gebiet IT-Sicherheit neuer Regulatorik gegenüber.

Große IT-Service-Anbieter wie Amazon, Google und Apple sowie FinTechs sind dagegen bestens positioniert, weitere Finanzprodukte am Markt anzubieten; einige FinTechs haben bereits die Banklizenz. Ihre Kundendaten bieten ein wertvolles Potential, beispielsweise für Bonitätseinschätzungen.


Grundzüge einer Gegenstrategie

Banken und Versicherungen müssen also daran interessiert sein, ihre Finanzdienstleistungen in der digitalen Welt umfassend neu und zeitnah zu definieren. Dabei muss zwischen zwei Dimensionen unterschieden werden:

 

Erstens: Kundenerlebnis, Fairness und Transparenz im Produktangebot und der Prozessabwicklung. Dies ist das wichtigste Element, verloren gegangenes Vertrauen der Kunden zurückzugewinnen.


Zweitens: Schnelligkeit und Flexibilität der Organisationsstruktur sind gleichrangig mit  Kosteneffizienz. Durch eine agile und integrierte IT-Landschaft können die Kundenbedürfnisse schnell und schlank erfüllt werden.



Ich empfehle folgende Anpassungen an den bestehenden Geschäftsmodellen für die Wandlung zum digitalen Finanzdienstleister:

 

  1. Digitale Produktinnovation ist eine wesentliche Voraussetzung für die Schaffung von Wettbewerbsvorteilen und damit für weiteres Wachstum.
  2. Die Nutzung digitaler Technologien muss daher Kernkompetenz sein. Sicherheit ist die vermarktbare Chance, nicht Risiko.
  3. Die Nutzung existierender Technologie muss maximiert werden.
  4. Wenn die Infrastruktur noch nicht an das digitale Zeitalter angepasst ist, mit kleinen und zielgerichteten Investments starten (eForms, Workflows, Frontend-Systeme etc.). Bauen Sie kein Digital Empire.
  5. Verlangen Sie Kostendisziplin für die gesamte Wertschöpfungskette, um mit den eigenen digitalen Produkten wettbewerbsfähig zu sein.
  6. Schaffen Sie eine intelligente Vernetzung digitaler Produkte mit konventionellem Vertrieb. Lieber Erfolgsbeteiligung beim Abschluss digitaler Produkte als Diskussion um Kannibalisierungseffekte.


Und – nehmen Sie Ihre Mitarbeiter mit: Schaffen Sie Digitalisierungsstrukturen, aber die richtigen, für Sie passenden. Konzentrieren Sie sich auf den Business Outcome- Digitalisierung darf kein Selbstzweck sein. Schaffen Sie eine Vision für Mitarbeiter in Ihrer neuen digitalen Realität.


Fazit
Die Finanzindustrie gilt traditionell als nicht besonders innovative Branche. Von der Digitalisierung werden jedoch alle Kunden- und Produktgruppen erfasst werden. Der Finanzindustrie muss es daher gelingen, Beratung, Vertrieb und Finanzprodukte zu innovativen Geschäftsmodellen zu verknüpfen. Und es gibt Licht am Horizont: So hat die Commerzbank den Main-Inkubator gegründet. Traxpay, ein Anbieter einer sogenannten „Dynamic Payment“-Lösung, ist eine der ersten Gründungen, die hier untergeschlüpft sind. Auch die Deutsche Bank hat ihre Digitale Agenda und die Hypovereinsbank (HVB) entwickelt die Internet-Filiale der Zukunft.


Trotzdem gibt es für die Finanzindustrie noch viel zu tun, wenn zukünftig nicht Apple, Google oder Paypal den Kampf um die netzaffinen Kunden gewinnen sollen. Wie bemerkte dazu kürzlich Theodor Weimer, Chef der HVB?: „Die wahre Schlacht wird nicht zwischen den Banken geschlagen“. Also dann: „Ohne Furcht – nach vorn!“



Zum CIO-Blog von Stefan Pechardscheck