Sichtbarkeit ist für Unternehmen erfolgsentscheidend
Bert Klingsporn, Experte für den digitalen Wandel in Marketing und Vertrieb, erläutert im Gespräch mit Andrea Przyklenk, weshalb Sichtbarkeit für jedes Unternehmen zu einem entscheidenden Erfolgskriterium wird.
Deutschland ist stolz auf seine Hidden Champions. Weshalb sollten diese Champions plötzlich aus der Deckung kommen?
Bert Klingsporn: Die Hidden Champions, die meistens weitab der großen Zentren angesiedelt sind, zeichnen sich dadurch aus, dass sie in der Regel sehr spezialisiert sind und fast ausschließlich mit ihren Kunden kommunizieren. Doch das funktioniert aus verschiedenen Gründen nicht mehr. Zum einen müssen sie nicht mehr nur für ihre Kunden attraktiv sein, sondern auch für den Arbeitsmarkt. Wer sollte für Unternehmen arbeiten wollen, die er gar nicht kennt? Nicht umsonst wird das so genannte Employer Branding immer wichtiger. In dieser Hinsicht tut sich bereits einiges. Bei den B2B-Effie-Awards der führenden Werbeagenturen (GWA) gibt es zum Beispiel seit diesem Jahr die neue Kategorie „Employer Branding“.
Zum anderen sehen sich die Unternehmen neuen Kundengruppen und Wettbewerbern gegenüber. Bestes Beispiel ist hier der Markteintritt des Heizungsbauers Thermondo, der als Komplettanbieter die Vertriebsschnittstelle zum Endkunden hält und in kürzester Zeit eine Marke als Problemlöser aufgebaut hat. Der neue Wettbewerber hat erkannt, dass es viele Endkunden womöglich nicht interessiert, welcher Name auf dem Heizkessel steht, sondern ein Heizungswechsel soll in erster Linie problemlos funktionieren. Wie halten jetzt Hersteller den Kontakt zu Installateuren und wie kommunizieren sie mit den Endkunden?
Ein weiteres Beispiel ist „CEWE“. Der Fotodienstleister wandelte sich aufgrund des Siegeszugs der Digitalfotografie in ein Markenunternehmen und einen Digitalexperten. Dafür mussten digitale Produkte geschaffen, eine eigene Marke aufgebaut und mit dem Endkunden kommuniziert werden.
Was bedeuten diese Entwicklungen für Marketing und Vertrieb?
Das ganze Unternehmen muss sich noch intensiver als bisher mit der Frage befassen: Warum soll der Kunde gerade bei uns kaufen? Die kompromisslose Kundenorientierung wird hier zum entscheidenden Differenzierungsmerkmal. Nehmen Sie als Beispiel die Firma Thomann Musikinstrumente aus Treppendorf bei Bamberg. Das 1954 gegründete Unternehmen ist mit einem Ladengeschäft gestartet, das heute ein „Campus“ ist, in dem sich Musiker treffen. Thomann ist heute einer der größten digitalen Player in Deutschland mit rund elf Millionen Kunden. Seit 2012 wurde das Unternehmen jedes Jahr mit dem Deutschen „Onlinehandel Award“ in der Kategorie „Sport und Freizeit“ ausgezeichnet. 2019 lag es vor Thalia und Adidas auf Platz 1 und wurde sogar Gesamtsieger über alle Kategorien hinweg. Der Preis beruht auf einer Auswertung von über 15.000 Kundenbewertungen zu über 120 Online-Anbietern. Grund für den Erfolg ist eine einzigartige Kundenorientierung unter dem Motto „Wert für den Kunden schaffen“. Dazu gehört unter anderem, dass alle relevanten Mitarbeiter, zum Beispiel in der Beratung, selbst Musiker sind – ein enormes Plus für jeden Kundenkontakt.
Ähnliche Erfolge sieht man zum Beispiel bei Elektro-Conrad mit seiner Experten-Community von Kunden. Auch „CEWE“ bezieht seine Kunden durch vielfältige Maßnahmen ein: Kunden laden Beispiele ihrer Kreationen als Inspiration für andere auf die Website und treten sogar mit ihren selbst geschaffenen Werken in TV-Spots für das Unternehmen auf. Auf diese Weise werden Kunden zu Fans und Botschaftern des Unternehmens.
Es entsteht also eine neue Form von Werbung. Ist die klassische Werbung damit out?
Das kann man so nicht sagen. Die klassische Werbung hat immer noch ihren Platz und wird nicht völlig ersetzt. Jedoch wird in vielen Branchen bereits über 50 Prozent des Online-Shoppings mobil getätigt, also über Smartphones oder Tablets. Die digitalen Kontaktpunkte mit dem Kunden wie Suchmaschinen, Blogs, Social Media, Bewertungsportale oder Websites explodieren und müssen in ihrer Relevanz bewertet und bedient werden.
Das Wissen um den Kunden wird zum wertvollsten Asset von Marketing und Vertrieb. Deshalb gründen immer mehr Unternehmen etwa Inhouse-Agenturen für verschiedene Kanäle. Dadurch sind sie schneller, können maßgeschneidert kommunizieren und behalten das Kundenwissen im Haus.
Mittelständische Familienunternehmen engagieren sich auf vielfältige Weise in der Region, in der das Unternehmen angesiedelt ist. Sind das noch immer sinnvolle Maßnahmen und werden sie überhaupt von der Öffentlichkeit bemerkt?
Auf jeden Fall wird CSR bemerkt, zumindest von denen, die es unmittelbar betrifft. Hier sind jedoch zwei Dinge zu beachten: Zum einen sollten solche Aktivitäten kommuniziert werden – tue Gutes und sprich darüber. Zum anderen müssen sie zum Unternehmen und seinen Werten passen. Wer sich für ein ökologisches Projekt einsetzt, sollte in der Firma ebenfalls entsprechend umweltbewusst handeln, damit das Engagement auch positiv wahrgenommen wird.
Wie sieht es mit politischen Meinungsbekundungen aus?
Auch hier gilt: Es muss passen. Wer sich nicht äußern möchte, sollte zumindest eine Antwort in der Schublade haben, falls er gefragt wird. „Man kann nicht nicht kommunizieren“, wie Paul Watzlawick sagte. Die meisten Unternehmen beziehungsweise Unternehmer äußern sich nicht parteipolitisch oder zu konkreten politischen Ereignissen, sondern eher, wenn sie den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Gefahr sehen. Ein Beispiel dafür ist die Initiative „Made in Germany – Made by Vielfalt“, mit der sich eine Gruppe von Familienunternehmern für mehr Toleranz und gegen Fremdenfeindlichkeit ausspricht. Manche Unternehmen forderten auch dazu auf, zur Europawahl zu gehen.
Welche Rolle kommt dem Unternehmer selbst und seiner Familie als Botschafter des Unternehmens zu?
Der Unternehmer ist der Repräsentant seiner Firma und steht für ihre Werte. Das sollte er sichtbar kommunizieren. Mit der Familie verhält es sich etwas anders. Einige Unternehmer befürchten Nachteile für ihre Familie, wenn sie in der Öffentlichkeit bekannt ist. Das ist verständlich. Allerdings werden häufig die Nachfolge oder der Eintritt des Nachfolgers ins Unternehmen kommuniziert, zum Beispiel bei Kienbaum oder Viessmann. Das ist eine gute Möglichkeit, um die Zukunftsfähigkeit des Unternehmens nach außen darzustellen und es für jüngere Arbeitnehmer attraktiv zu machen.
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