Der Chemiepark der Zukunft
Der Chemiepark der Zukunft ist nachhaltig, technologisch auf dem neuesten Stand, umfassend digitalisiert, best-in-class und wettbewerbsfähig, anpassungs- und atmungsfähig, sicher sowie kooperativ mit seinem Umfeld.
Es ist sinnvoll, das Ökosystem „Chemiepark“ aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten: Die Perspektive der produzierenden und forschenden Unternehmen (Chemieparkkunden), die des Chemieparkbetreibers (Industry Services Provider), des Chemieparkmanagers und des Chemieparkeigentümers. Je nach Standortmodell können alle vier Rollen von einem einzelnen Unternehmen verantwortet werden oder sie sind auf verschiedene Unternehmen verteilt. Das ideale, zukunftsfähige, moderne Chemieparkökosystem wird strukturell die Rollen splitten: zum einen Chemieproduzenten mit Größeneffekten und/ oder (mittelständische) Spezialchemieproduzenten und zum anderen organisatorisch oder gesellschaftsrechtlich eigenständige Dienstleistungsgesellschaft(en).
Jede Perspektive arbeitet zunächst für sich an der eigenen Zukunftsfähigkeit und trägt damit einen Teil zur Zukunftsfähigkeit des Ökosystems Chemiepark bei. Entscheidend für einen langfristig existenten und strategisch erfolgreichen Chemiepark ist das Miteinander der Perspektiven. Das verbindende Element ist der Chemieparkbetreiber und -manager. Die Leistungsfähigkeit des Chemieparkökosystems wird im anliegenden Future Performance Navigator bewertbar.
Der nachhaltige Chemiepark
Die Chemieparkkunden werden verstärkt auf nachhaltige Produktionsverfahren und umweltfreundliche Technologien setzen, um den globalen Herausforderungen des Klimawandels und der Umweltverschmutzung gerecht zu werden.
Für den Chemieparkbetreiber in seiner Rolle u.a. als Ver- und Entsorger bedeutet dies, dass es eine verstärkte Integration erneuerbarer Energien geben wird. Grüner Wasserstoff, Solar- und Windkraft helfen bei der Bewältigung der Energiewende und reduzieren die CO2-Emissionen. Die Kreislaufwirtschaft und die facettenreichen Recyclingmethoden werden ebenfalls eine wichtige Rolle spielen, um den Einsatz von Rohstoffen zu optimieren und Abfälle zu minimieren.
Chemieparkbetreiber haben die Chance als „Zirkuläre Supply Chain Plattform“ für die Entwicklung und Umsetzung von innovativen Lösungen zur Reduzierung von Abfall, Emissionen und Umweltauswirkungen zu werden. Sie bilden das Rückgrat für eine technologisch machbare und ökonomisch sinnvolle Energiewende.
Der hochtechnologische und digitale Chemiepark
Die fortschreitende Digitalisierung wird den Chemiepark in vielerlei Hinsicht weiter revolutionieren. Automatisierte Prozesse und Robotik werden sowohl bei den Chemieparkkunden als auch beim Betreiber und Manager die Effizienz steigern und menschliche Fehler reduzieren. Die Vernetzung von Anlagen und Geräten ermöglicht Echtzeitüberwachung und -steuerung, was zu einer verbesserten Sicherheit und Produktivität führt.
Darüber hinaus werden fortschrittliche Datenanalyse- und KI-Technologien eingesetzt, um Produktionsprozesse zu optimieren, höhere Auslastungen aller Infrastrukturen zu ermöglichen, vorausschauender agieren zu können (Kapazitäten, Instandhaltung etc.) und bessere Entscheidungsgrundlagen für die Nutzung von bspw. Lagerkapazitäten oder Stillstandplanungen zu schaffen.
Es ist die Aufgabe des Chemieparkmanagers für all diese Anwendungen eine leistungsstarke digitale Infrastruktur im Chemiepark zu organisieren, um die nahtlose Vernetzung und den Austausch von Daten zwischen den verschiedenen Unternehmen und Anlagen zu ermöglichen. Deutlich stärker als bisher wird die Vernetzung lokaler Knowledge-Campus und Infrastrukturhubs mit globaler künstlicher Intelligenz im Mittelpunkt stehen.
Der Industriedienstleister des Chemieparks (Betreiber) muss durch vollständig digitalisierte Prozesse zur Technologisierung der Serviceprozesse und des Chemieparks beitragen. Dazu gehören:
- Voll-automatisierte Eingangs- und Ausgangsprozesse für Menschen und Fahrzeuge
- Automatisierte Beauftragungs-, Service- und Abrechnungsprozesse bei Leistungserbringungen
- Standortweite Planungs-, Steuerungs- und Kontrolldashboards mit allen Beteiligten bei Nutzung gemeinsamer Infrastrukturen und Ressourcenpools
Der effizient-wettbewerbsfähige, moderne Chemiepark
Der Chemiepark der Zukunft ist hochgradig wettbewerbsfähig und kostenseitig best-in-class. Dies wird erreicht, in dem sich alle Rollen auf ihre jeweiligen Kernkompetenzen fokussieren. Höhere Standardisierung und Professionalisierung führen zu höherer Effizienz. Schlüssel zum Erfolg wird dabei der Blick über den unternehmenseigenen Tellerrand sein. Notwendige Investitionen in Produktions- und Support-(Service-)prozesse lassen sich mit cleveren Partnerschaften innerhalb des und zwischen Chemieparks besser und zielgerichteter stemmen.
Der Chemieparkbetreiber ist operativ restrukturiert, hat wettbewerbsfähige Kosten in seinen Services erreicht - dies spiegelt sich u.a. in seinen Personal- und Overheadkosten wider, Auslastungen und Einsatzflexibilität sind auf Topniveau, unnötige analoge Prozesse gibt es nicht, Fehler sind durch eine hohe Servicequalität und standardisierte Serviceprozesse sehr selten, die hohe Mitarbeitermotivation zeigt sich in niedrigen Krankenquoten und der X-tra-Meile für den Kunden. Seine Investitionen sind in moderne erneuerbare Energieerzeugungen, Feuerwachen, Abwasserreinigungsanlagen, Lagerflächen, modale Umschlagsplätze und Rechenzentren geflossen. Die Serviceorganisation kann mit zukunftsfähigen und effizienten Infrastrukturen attraktive Preise erzielen sowie fehler- und unfallfrei arbeiten.
Seine Aufgabe ist es, ein attraktives Arbeitsumfeld für alle im Chemiepark ansässigen Unternehmen zu schaffen, bei einem hohen Sicherheitsstandard mit modernen Catering- und Büroumfeldkonzepte. Er muss in die Mitarbeiter investieren und Kompetenzen aufbauen.
All das kostet in den Jahren der Entwicklung Investitionen, welche die Kunden des im Ökosystem Chemiepark tragen müssen. Daher ist eine Verteilung der Investitionen auf möglichst viele Schultern, welche die Services nutzen, sehr sinnvoll – der Standortzaun muss nicht die Grenze sein.
Die Vollauslastung von Infrastruktur und Servicemitarbeitern sowie das wettbewerbsfähige Service- und Produktportfolio des Chemieparkbetreibers sind der Schlüssel zu einem zukunftsfähigen modernen Serviceumfeld.
Der anpassungsfähige Chemiepark
Der Chemiepark der Zukunft wird flexibler und diversifizierter sein, um sich an die sich ändernden Marktbedingungen anzupassen. Diejenigen Chemiepark Ökosysteme werden erfolgreich sein, die vermehrt eine Vielzahl von Unternehmen beherbergen, die unterschiedliche Produkte herstellen oder verschiedene Teilbereiche der chemisch-pharmazeutischen Wertschöpfungsketten bedienen. Diese Vielfalt erzeugt die notwendige Resilienz und wird es ermöglichen, auf Marktverschiebungen und neue Geschäftsmöglichkeiten schnell zu reagieren.
Flexible und anpassungsfähige Chemieparks haben zudem Kunden mit Produktionsanlagen, die leichter umgestaltet oder erweitert werden können, um auf sich ändernde Marktbedingungen und Kundenanforderungen reagieren zu können. Modulare Produktionsanlagenkonzepte werden in der chemischen Wertschöpfungskette eine Schlüsselrolle spielen, um diese Flexibilität zu gewährleisten.
Der anpassungsfähige Chemieparkbetreiber passt wiederum seine Services daran an, damit er stets in der Lage ist, die sich laufend verändernden Anlagen(-module) zu planen, zu bauen, zu betreiben und instand zu halten. Er muss hierfür nicht nur auf dem aktuellen Stand der Technik sein, sondern muss innovativ und seinen Kunden in den Supportprozessen stets einen Schritt voraus sein.
Atmungsfähig wird über die Fertigungsbreite und -tiefe der notwendigen Servicekompetenzen realisiert: neue IT-basierte Services werden benötigt und ändern sich mit den technologischen Möglichkeiten; technische Ausführungskompetenzen sind im Brownfieldumfeld von hoher Bedeutung; StartUps, Servicepersonalplattformen, Spezialisten ermöglichen das Atmen in der Tiefe.
Dafür ist es auch erforderlich, dass sich der Site Service Provider organisatorisch selbst zum „lebendigen, anpassungsfähigen Organismus“ entwickelt, der darin besteht, den jeweiligen Kunden zufrieden zu stellen und den Chemiepark weiterentwickelt.
Die Sicherheit aller im Wertschöpfungsprozess beteiligten Menschen bleibt dabei die höchste und selbstverständlichste Anforderung an das gesamte Ökosystem Chemiepark. Auf Arbeiten mit nicht realisierbaren Zeitvorgaben, Einbeziehung nicht qualifizierter Kompetenzen und die Nichteinhaltung gesetzlicher und unternehmerischer Vorgaben ist dabei zu verzichten.
Der kooperative und netzwerkorientierte Chemiepark
Chemieparkökosysteme der Zukunft werden verstärkter auf Vernetzung setzen. Unternehmen innerhalb des Chemieparks teilen bereits ihre Ressourcen (z.B. bei Ver-/Entsorgung, Logistik etc.). Es wird erfolgskritisch werden gemeinsame Forschungs- und Entwicklungsprojekte durchzuführen, sich in Clusterstrukturen zu organisieren und lokale Infrastrukturhubs zu bilden. Chemieparks entwickeln sich zu Innovationszentren mit klaren strategischen Alleinstellungsmerkmalen (Energiespeicherung, Grüne Polymere, 3D-Bauchemie etc.). Hier entwickeln Chemieunternehmen, Forschungseinrichtungen und Start-ups neue Technologien und Produkte.
Ein moderner Site Service Provider erkennt die hohe Bedeutung der Ressource Mensch in Kombination mit Künstlicher Intelligenz und legt einen hohen Wert auf „beider“ Wohlbefinden, Entwicklung und Förderung. Eine positiv-unternehmerische Führung, die Motivation, Kreativität und Innovation fördert, ist wesentlich.
Strukturen im Chemiepark verändern sich
Die erwähnte Fokussierung auf die jeweiligen Kernprozesse (Trennung von Industrieservice- und Produktionsprozessen) wird mittelfristig dazu führen, dass M&A-Tätigkeiten und dass Aufspaltungen in der Chemieindustrie und den Chemieparks zunehmen. Chemieproduzenten werden ihr produzierendes Kerngeschäft zunehmend konsolidieren und auch ihre Sekundärprozesse (Industrieservices wie Ver-/Entsorgung, Technik, Sicherheit, Logistik, …) zunehmend in eigene Organisationen oder Gesellschaften überführen (müssen). Nur eine eindeutige Abgrenzung des Servicegeschäftes ermöglicht eigene Kostenstrukturen, Servicekulturen und Dienstleistungsprozesse – die Abspaltung muss nicht zur Veräußerung des Servicegeschäftes führen. Die abgespaltete Chemieparkserviceeinheit kann weiterhin Teil des Chemiegeschäftes bleiben, jedoch mit eigenen Zielen, KPI’s, Strategien, Kompetenzen und Organisation.
Mit der klaren Abgrenzung wird eine höhere Kundenzentrierung erreicht – die Bedürfnisse und Anforderungen der Kunden können spezifischer erfasst, verarbeitet und befriedigt werden.
Diese Entwicklungen sind für einen langfristig erfolgreiches und zukunftsfähiges Ökosystem Chemiepark essenziell und werden den Chemiepark- und Industrieservicemarkt weiter verändern.
Dieser Artikel wurde zuerst veröffentlicht im Chemanager 09/2023.