Organisations- und Prozessberatung - Definition eines Beratungsfeldes
Die Organisations- und Prozessberatung ist durch thematische Anknüpfungspunkte und Abhängigkeiten eng mit den Beratungsfeldern Strategie, IT/Technologie, Human Resources sowie Change Management verflochten. Zum besseren Verständnis werden die Beratungsdisziplinen folgend als Prozessabfolge betrachtet.
Einordnung und Abgrenzung zu anderen Beratungsfeldern
Die Organisations- und Prozessberatung ist durch thematische Anknüpfungspunkte und Abhängigkeiten eng mit den Beratungsfeldern Strategie, IT/Technologie, Human Resources sowie Change Management verflochten. Zum besseren Verständnis werden die Beratungsdisziplinen folgend als Prozessabfolge betrachtet.
Die Strategieberatung ist quasi eine vorgelagerte Beratungsdisziplin der Organisations- und Prozessberatung, weil durch sie die strategischen Rahmenbedingungen und Prämissen sowie das Geschäftsmodell, also die zu bearbeitenden Märkte, die anzubietenden Produkte und Dienstleistungen, Governance-Elemente sowie Leistungs- und Kostenziele eines Unternehmens, definiert werden (Business Model). Die Organisations- und Prozessberatung sorgt dann durch die Definition und Einführung eines geeigneten Betriebsmodells im Sinne einer Aufbau- und Ablauforganisation (Operating Model) dafür, dass die Strategien effizient umgesetzt werden können. Nachgelagert oder begleitend dient die IT-/Technologieberatung dazu, durch die Einführung von Hard- und Softwarelösungen die definierten Prozesse technisch abzubilden und zu begleiten. Da der Unternehmenserfolg immer auch davon abhängt, die richtigen Menschen an der richtigen Stelle zur richtigen Zeit zu beschäftigen, hilft die Human-Resources-Beratung dabei, die passenden Persönlichkeitsprofile für die definierten Rollen und Positionen in einem Unternehmen zu identifizieren, zu finden und zu entwickeln. Abschließend – und im besten Fall projektbegleitend für alle Beratungsdisziplinen – kommt dem Change Management eine besondere Bedeutung zu, weil jeglicher Veränderungsprozess auf organisatorischer oder prozessualer Ebene, der einer Änderung der Denk-, Arbeits- oder Verhaltensweisen im Unternehmen bedarf, gezielt gelenkt und gesteuert werden muss.
Eine so strikte Abgrenzung wie hier beschrieben, ist in der Realität jedoch nicht möglich, sodass sich Elemente aus allen geschilderten Bereichen zumindest ansatzweise
in einem Beratungsmandat der Organisations- und Prozessberatung wiederfinden können. So führt insbesondere die Unterstützung unternehmerischer Prozesse durch IT-Technologie zu einer immer größeren Überlappung der Beratungsfelder.
Entwicklung der Organisations- und Prozessberatung in den letzten Jahren
Die Nachfrage nach Organisations- und Prozessberatung verzeichnet seit Jahren ein stetiges Wachstum. Nicht nur die Digitalisierung wirkt sich in nahezu allen Unternehmen auf die jeweiligen Geschäfts- und Betriebsmodelle aus und führt zu einem vermehrten Bedarf an Organisations- und Prozessberatung, auch der Trend zur Neo-Globalisierung wirft verstärkt Fragen auf: Wie dezentral muss bzw. kann ich aus Sicht der Marktbearbeitung, aber auch aus Sicht der Produktionsfaktoren (Personal, Energie, Material) sein? Ebenfalls im Trend sind Beratungsprojekte zum Umgang mit agilen Organisationsformen im gesamten Unternehmen oder auch nur in einzelnen
Funktionen, z. B. in der Produkt- bzw. Serviceentwicklung. Vor diesem Hintergrund verzeichnet das Beratungsfeld seit Jahren – das Coronajahr 2020 einmal ausgenommen – ein stetiges Marktwachstum, welches seit 2021 jährlich im zweistelligen Bereich liegt. Der Marktanteil liegt seit etwa vier Jahren nahezu konstant bei etwa 44 Prozent.
Typische Tätigkeitsfelder und Beratungsaufgaben
Die Organisations- und Prozessberatung findet grundsätzlich in allen Branchen mit vergleichbaren Projektansätzen, Vorgehensweisen und Methoden Anwendung. Beratungsunternehmen bzw. einzelne Berater/-innen spezialisieren sich jedoch häufig auf eine Branche (Automobil, Banken, Konsumgüter etc.), einen End-to-End- Geschäftsprozess (Supply Chain vom Auftrag bis zur Bezahlung, Customer Chain vom Marktbedarf bis zum Kundenauftrag, Product Chain von der Idee bis zum Produkt) oder einen Teilprozess in Unternehmen (Finanzen/Controlling, IT, Einkauf, Vertrieb/Marketing, Entwicklung, Produktion/Logistik etc.). Die Beratungsprojekte drehen sich im Kern um die innerbetrieblichen Abläufe und die Beantwortung der Fragen, wie die Produkte oder Dienstleistungen hergestellt und in den Markt gebracht werden oder wie
Inhalte und Ziele aus der Strategie in Funktionen und Prozesse heruntergebrochen werden können.
Hierzu sind diverse Fragestellungen zu beantworten:
- Welche Produkte und Services werden angeboten, welche werden selbst erbracht bzw. hergestellt und welche werden eingekauft bzw. ausgelagert?
- Welche Erfolgsfaktoren werden für das Unternehmen gesehen und welche Prozesse sind besonders wichtig für den Unternehmenserfolg?
- Wie sieht die Ablauforganisation im Unternehmen aus? Welche Prozesse sind Kernprozesse, welche sind Unterstützungs- und welche sind Managementprozesse?
- Welche Methoden und Werkzeuge werden/sollen in den verschiedenen Geschäftsprozessen als Standard (z. B. agiles Projektmanagement) zur Anwendung kommen?
- Welche Ordnungskriterien sind für die Gestaltung der Aufbauorganisation im gesamten Unternehmen und/oder in einzelnen Funktionen zweckmäßig, z. B. Einführung von Geschäftsbereichen mit Produktfokus, Vertriebsregionen mit Fokus auf Markt und Kundinnen und Kunden oder eine Matrix-Organisation aus beiden Dimensionen?
- Welche Rollen braucht es für welche Aufgaben, mit welchen Fähigkeiten, welcher Befugnis und welcher Verantwortung im Unternehmen? Wie kombinieren diese sich zu den entsprechenden Stellen und/oder Organisationseinheiten?
- Welche Anforderungen und Veränderungen ergeben sich an bzw. für die Beschäftigten aufgrund der neuen, angepassten oder veränderten Aufbauorganisation?
- Wie erfolgt der Übergang von der bestehenden in die zukünftige Organisationsstruktur? Welche Funktionen bzw. Aufgaben und Kapazitäten sowie Personen wandern
(Wanderungsbilanz mit welchem Veränderungsgradienten)? - Wie soll das Führungsmodell gestaltet sein, wie werden Entscheidungen zukünftig vorbereitet und getroffen? Welche Prozesse sind dazu installiert bzw. zu etablieren?
- Welcher internationale Footprint ist für welche Unternehmensfunktion (Vertrieb, Entwicklung, Produktion, Logistik, Einkauf, IT, Controlling, Finanzen) zu bedenken?
- Welche übergreifende „Governance and Excellence“ muss für verteilte Organisationen (globale Ausprägung unterschiedlicher Funktionen, z. B. Vertriebsniederlassungen
oder Werke in einem Land mit einer übergreifenden Koordination) gelten? - Gibt es Softwarelösungen und IT-Systeme, um die Prozesse im Sinne von Durchlaufzeit, Termintreue, Qualität, Effizienz und Kosten leistungsfähiger zu gestalten?
- Welche Tools und IT-Systeme kommen zur Prozessunterstützung zum Einsatz, welche Daten und Information sind hierfür notwendig?
- Wie erfolgt die Interaktion mit dem Unternehmensumfeld, z. B. mit Kunden, Partnern und Lieferanten?
- Wie erfolgt die Steuerung im Betriebsmodell, welche KPIs sind notwendig, wie werden diese gemessen und wie erfolgt die Berichterstattung?
Berufsbild Organisations- und Prozessberater/-in
Die Einsatzgebiete und Betätigungsfelder sind genauso vielfältig wie die zu behandelnden Fragestellungen – immer mit dem Ziel verbunden, nachhaltige Veränderungen in Unternehmen und ihren Prozessen zu bewirken und Spuren statt Präsentationen zu hinterlassen. Ein Einstieg in die Organisations- und Prozessberatung ist mit einem Bachelor- oder Masterabschluss sowie als Young Professional oder mit mehr Berufserfahrung möglich. Es ist kein spezifischer Studiengang notwendig, Abschlüsse aller Fachrichtungen sind willkommen. Berufseinsteiger/-innen sollten bereits praktische Erfahrungen in Unternehmen gesammelt haben (z. B. durch Praktika). So können sie schon früh erste wertvolle Beiträge leisten und sich mit der Zeit on-the-Job einen umfassenden Methoden- und Erfahrungsschatz erarbeiten.
Entscheidend ist analytisches und logisches Denken, Problemlösungskompetenz sowie Freude an konzeptioneller Arbeit, d. h. dem Erkennen von Schwachstellen und Problem- bzw. Verbesserungsfeldern und dem Finden von Lösungen für bestimmte Fragestellungen. Eine schnelle Auffassungsgabe wird ebenfalls vorausgesetzt, um sich rasch in die Unternehmenswirklichkeit einarbeiten und deren Prozesse und Strukturen durchschauen zu können. Hierzu sind ein Grundverständnis hinsichtlich der Zusammenhänge in Unternehmen und IT-Erfahrung in zweierlei Hinsicht von Bedeutung. Einerseits zur Bedienung der erforderlichen Softwarelösungen im Beratungsgeschäft sowie andererseits zum Zusammenspiel von Modulen der Business-Software in Firmen.
Unerlässlich sind auch die Freude am Umgang mit Menschen sowie Anschluss- und Teamfähigkeit, denn die Projekte werden (fast) nie allein, sondern im Beratungsteam und immer unter Einbeziehung von Vertreter/-innen aus den Unternehmen bearbeitet. Um hierarchie- und funktionsübergreifend ein vertrauensvolles Verhältnis zu den Unternehmensvertreter/-innen aufzubauen, gilt es, sowohl zuhören als auch reden und überzeugen zu können. Zugleich sind Einfühlungsvermögen sowie kommunikative Fähigkeiten vonnöten, um Veränderungen behutsam, aber nachhaltig unternehmensweit zu vermitteln, denn Überzeugungsarbeit und Akzeptanz sind Schlüssel zum Erfolg. Im gleichen Kontext sind interkulturelle Erfahrungen und die Fähigkeit zum Umgang mit verschiedenen Kulturen gerne gesehen, da in multinationalen Unternehmen auch am Standort Deutschland schon lange Menschen aus vielen unterschiedlichen Kulturen und Ländern arbeiten. Teilweise werden Workshops und andere Formate in den jeweiligen Muttersprachen oder auf Englisch durchgeführt, sodass schon die Protokollierung einer Veranstaltung auf Englisch erfolgt. Aufgrund der Internationalität vieler Firmen, die in diesem Feld Beratung suchen, ist die englische Sprache in Wort und Schrift für die meisten Beratungsfirmen ein absolutes Muss.
Dieser Artikel erschien zuerst im Buch "Perspektive Unternehmensberatung 2024" von e.fellows.net
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