Leistungswirtschaftliche Optimierung in Krisenzeiten
Gerade in Krisenzeiten – egal ob globale Wirtschaftskrise, Covid-19-Pandemie oder lokale Unternehmenskrise – sind viele Unternehmen zu drastischen Anpassungsmaßnahmen gezwungen. Während Großkonzerne in der Regel nicht nur über viele interne Fachfunktionen und externe Kompetenzen verfügen, sondern auch einen erheblichen einfacheren Zugriff auf weiteres Kapital haben, stellt sich die Lage für die klassischen klein- und mittelständischen Unternehmen in der Regel ganz anders dar. Eigene Ressourcen und Kompetenzen sowie die liquiden Mittel sind eher begrenzt und ganz so einfach lässt sich frisches Kapital nicht einsammeln. Wer es bisher noch nicht getan hat, der sollte sich spätestens jetzt auf die veränderte Zukunft einstellen und möglicherweise „Gekonnt Schrumpfen“
Das Bild dieses „Gesund-Schrumpfens“ gleicht dem gezielten Abspecken eines gesundheitsbewussten Menschen. Ist die Situation bereits lebensbedrohlich, hilft nur eine Radikalmaßnahme, um zu überleben. Ist es nur ein wenig Winterspeck, helfen mehr Bewegung und ein verändertes Ernährungsverhalten. Nach einem gezielten Diät- und Fitnessprogramm will man aber nicht nur gesünder und sportlicher aussehen, sondern es auch sein. Wäre es nicht schön, wenn in unseren Unternehmen notwendige Spar- und Veränderungsprogramme genauso positiv besetzt wären und sich Management und Mitarbeiter gleichermaßen auf die angestrebten Resultate freuen würden?
„Gekonnt Schrumpfen“ bedeutet also nicht (nur), durch konsequente Ausgabenstopps Liquidität beisammen zu halten (in dieser Phase gilt „Cash is King“) oder Kosten pauschal zu kürzen und im Dreisatz Stellen zu streichen. Es geht nicht um ein „Kaputtsparen“, sondern den ganzen negativen und zum Teil unvermeidlichen Folgen der akuten Situation etwas Positives abzugewinnen und letztlich gestärkt aus einer Krise hervorzugehen. Wie kann das gelingen?
Entwicklung eines langfristigen Leitbildes
Zunächst benötigt man ein lohnenswertes Ziel, das den Zustand des Unternehmens über einen Zeitraum von einigen (ca. 5 bis 10) Jahren darstellt. Gemeint ist hier nicht das klassische „höher, schneller, weiter“, sondern eine Präzisierung des Unternehmenszwecks:
- Welchen Nutzen/Mehrwert wollen wir unseren Kunden in Zukunft bieten?
- Mit welchen Produkten/Leistungen können und wollen wir zukünftig unser Geld verdienen?
- Welche bislang geforderte Flexibilität können und wollen wir uns leisten?
- Welche Fähigkeiten und (Kern-)Kompetenzen benötigen wir dazu?
- Wofür steht unser Unternehmen?
Erst wenn wir eine Vision („Warum“), die Mission („Wie“) und Strategien („Was“) sowie unsere „Werte“ formuliert haben, geben wir unseren Führungskräften und Mitarbeitern, aber auch allen anderen internen und externen Stakeholdern, die notwendige Orientierung. Wichtig ist, nicht viel zu kurz zu springen, damit man nicht nach kurzer Zeit schon wieder nachjustieren muss. Idealerweise wird dieses Leitbild in Form eines griffigen Slogans oder anschaulichen Bildes formuliert.
Bereinigung der Produkt-/Leistungspalette zur Komplexitätsverringerung und Flexibilitätssteigerung
Fokussieren auf Gewinnbringer ist meist leichter gesagt als getan. So fehlt es einerseits in der Regel an einer verursachungsgerechten Produktkalkulation, mit der Folge, dass Standardprodukte häufig zu teuer bewertet werden und Sondervarianten viel zu günstig wegkommen. Problematisch ist zudem, dass man sehr langfristige Kundenbindungen auch nicht so einfach aufgeben möchte. Aber können wir uns das in dieser Situation noch leisten? Und andererseits: wer kann schon in der Glaskugel erkennen, welche Produkte in Zukunft die „Renner“ sein werden, obwohl sie heute noch mehr schlecht als recht laufen. Hier sollte in jedem Fall ein pragmatischer Ansatz in Form einer vereinfachten Prozesskostenrechnung gewählt werden, um alle anfallenden Kosten(arten) möglichst verursachungsgerecht den Produkten/Produktgruppen zuzuordnen. Unterstützt durch das langfristige Leitbild muss man sich dann und wann auch mal mutig auf sein „Bauchgefühl“ verlassen. Aber auch hier gilt: Umsatzwachstum nicht mit Gewinnwachstum verwechseln! Mit der Erarbeitung eines langfristigen Zielbildes und mit einer konsequenten Produktbereinigung können so die zwingend notwendigen Kräfte für die anstehenden Veränderungen freigesetzt werden.
Bei der Bereinigung von Produkten und Produktionen lohnt sich immer die Frage, ob die Komplexität oder bislang geforderte Flexibilität noch benötigt wird; Produkt- und Prozesskomplexität kostet Geld in Form von Menschen, Maschinen, Materialien.
Jede Flexibilitätszusage bedeutet auch eine Kapazitäts- oder Bestandsreserve. Es ist sicher besser, die Produktkomplexität auszudünnen und damit Fertigungsressourcen freizuspielen, um für die verbleibenden Produkte die Durchlaufzeiten zu senken und so die Flexibilität zu erhöhen, als sich große Fertigwarenbestände hinzulegen, um Lieferfähigkeit zu generieren.
Die Kommunikationshoheit und -deutung liegt in der Unternehmensleitung und bei den Führungskräften
Ein häufig völlig vernachlässigter Aspekt des “Gekonnt Schrumpfens” ist die Kommunikation mit allen Stakeholdern. Geldgeber, Kunden und Lieferanten sollen genauso verstehen, dass sich das Unternehmen zukunftssicher aufstellt wie die gesamte Belegschaft inkl. der Führungskräfte. Insbesondere die Leistungsträger sollen und müssen für sich eine positive Perspektive für ihren Verbleib im Unternehmen sehen, wenn man sie in einer solchen Phase nicht verlieren möchte. Daher lohnt es sich, Zeit und Energie und ggf. Geld für eine gelungene Kommunikation einzuplanen. Es zahlt sich um ein Vielfaches aus, wenn die gesamte Führungsmannschaft unter Einbeziehung wichtiger Leistungsträger an einem Strang zieht und destruktive Widerstände, aber auch Sorgen und Ängste der Mitarbeiter/-innen von Anfang an klein gehalten werden können. Auf diese Weise sind meist auch die Arbeitnehmervertreter eher zu schmerzhaften Einschnitten bereit, sollten sie erforderlich werden.
Die Erarbeitung eines nachhaltigen Unternehmenskonzeptes
Nach diesen allgemeinen Vorbemerkungen und Vorarbeiten kommen wir nun zum Herzstück der leistungswirtschaftlichen Optimierung. Orientiert am „neuen“ Produktportfolio gilt es die Hauptprozesse im Unternehmen kritisch unter die Lupe zu nehmen und möglichst nah am Ideal aufzustellen. Hier haben sich die Lean-und Wertstrom-Ansätze bestens bewährt, um einen optimalen Produktentwicklungs- bzw. Auftragsabwicklungsprozess sowie die dazu erforderlichen Unterstützungsprozesse zu entwickeln und jede Form von Verschwendung und Problemen im Ablauf sichtbar zu machen. Erst danach stellt sich die Frage, an welchen Stellen die Digitalisierung beispielsweise rein manuelle Fleißarbeit ersetzen kann, weil Belege noch immer manuell erfasst werden müssen oder Medienbrüche zu Doppeleingaben zwingen.
Es geht nicht darum Kosten, sondern den Ressourceneinsatz und damit jede Form von Verschwendung insgesamt nachhaltig zu senken: Wenn durch Personaleinsparungen, Durchlaufzeiten steigen, die Liefertreue sinkt und Bestände anwachsen, hat man nicht viel gekonnt. Die Effizienz des Net Working Capital (Umlaufvermögen bestehend aus Vorräten, Forderungen und Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen) sollte sich im Rahmen eines gekonnten Schrumpfungsprozesses ebenso verbessern, wie die Personalkosten angepasst und Material-, Flächen- und Energieeinsatz reduziert werden müssen.
Je Standort und Produktbereich muss man zudem sauber zwischen aktiv an der Leistungserstellung beteiligten Stellen und Overhead-Funktionen unterscheiden (s. Abbildung). Es kann sehr wohl sein, dass das Controlling, Entwicklung/Konstruktion oder Arbeitsvorbereitung „mal so – mal so“ zugerechnet werden.
Als operativ sollten auf jeden Fall alle Funktionen gelten, die im Wertstrom als Kästchen oder Pfeil auftauchen: Neben Produktionsbereichen sind damit sicher auch Planung, Disposition, Steuerung und Logistik gemeint, vielleicht sogar Einkauf, Vertrieb und das Qualitätsmanagement. Sonderfall ist die Produktentwicklung und Konstruktion bzw. ähnliche Bereiche. Kundenspezifische Sonderkonstruktionen sind teilweise Bestandteil des Auftragsabwicklungsprozesses und beeinflussen die Lieferzeiten oder Beschaffungskosten massiv. Die Zuordnung der Ingenieure zu den einzelnen Produkten ist wichtig, wenn man Produkte/Produktfamilien bereinigen will; umgekehrt genauso, wenn man beabsichtigt, Produkte zu standardisieren oder sein Heil in der Nische mit kundenindividuellen Einzellösungen sucht, so dass zusätzliche Ingenieurskapazitäten benötigt werden.
Hilfreich in diesem Zusammenhang ist es, mit sogenannten Vollzeitäquivalenten (FTE) zu rechnen, die man aus den unterschiedlichen Bereichen den jeweiligen Prozessschritten zuordnet. Weniger hilfreich ist das Denken in Kostenstellen, das zwar dazu dient, ein existierendes System zu überwachen und in seinen Bausteinen zu planen und zu optimieren, aber häufig das Denken in Gesamtzusammenhängen ver- und den radikalen Umbau des Systems behindert. Man muss den Prozess neu denken und davon ausgehend die Ressourcen bemessen. Der Prozess bestimmt die notwendige Organisation – nicht umgekehrt, nur so lassen sich lokale Suboptima vermeiden. Erst zuletzt legt man ein ggf. neues Kostenstellenraster über sein Ergebnis. Weniger hilfreich ist meist auch die Unterscheidung in fixe und variable Kosten, wenn man nachhaltig Kosten senken will. Die Reduktion der variablen Kostenbestandteile im Dreisatz mit der temporär geringeren Einlastung oder der vermeintlich fixen Bestandteile nach der Rasenmäher-Methode wird nicht die gewünschten langfristigen Erfolge bringen. Vielmehr braucht man, wie oben bereits beschrieben, eine saubere Prozesskostenbetrachtung pro Produkt(-familie).
Für alle Bereiche und Funktionen, die beim Freischneiden als Overhead klassifiziert wurden, kommt nun das „Parkinsonsche-Gesetz“ zum Tragen, nach dem sich insbesondere in den Verwaltungsbereichen „Arbeit wie Gummi dehnen lässt, um die zur Verfügung stehende Zeit auszufüllen”. Gerade in diesen Bereichen sind Effizienzpotentiale bei gewachsenen Organisationen mit Sicherheit vorhanden. Aber wie lassen sie sich erkennen und heben? Jede einzelne Overhead-Funktion von der Geschäftsführung bis zur Einmann-Abteilung ist kritisch zu hinterfragen. Was kann und will man sich leisten? Wo haben sich viele ineffiziente Gewohnheiten eingeschlichen und wo pflegt man aufwändige Riten? Wo haben wir Arbeitsteilung und dezentrale Matrixorganisationen geschaffen, die heute keinen Vorteil mehr bringen, sondern im Gegenteil die Komplexität und Selbstbeschäftigung ohne direkten Kundennutzen befeuern? Wo drücken wir uns vor Verantwortung und verstecken uns lieber hinter risikoaversen Gremienentscheidungen als echtes „Leadership“ zu betreiben? Wo passen die Führungsspannen nicht mehr?
All diese Punkte fließen in ein neues Konzept für das Unternehmen ein. Dieses Konzept stellt die Grundlage für die nächsten Schritte der Umsetzung dar, die zunächst i.d.R. umfangreiche Kommunikation mit den Stakeholdern und Verhandlungen mit Arbeitnehmern bedeuten.
Umsetzung des Unternehmenskonzeptes
Der beispielhafte Phasenplan (s. Abbildung) der Konzeptumsetzung zeigt, dass die eigentliche Arbeit erst jetzt beginnt. Braucht es zur Konzepterstellung evtl. ein kleines eingeschworenes Team mit hohen analytischen und strategischen Fähigkeiten, kommt nun die Zeit der Kommunikatoren. Eventuell muss sich das Team neu formieren oder bewusst Rollenzuteilungen verändern.
Die Hoffnung besteht immer, dass man Kosteneinsparungen realisieren kann, die nicht die Stammbelegschaft treffen. Idealerweise hat man die Mitarbeiter mittels guter Kommunikation von der Notwendigkeit der Veränderungen überzeugen können und kann nun auch ihre Kreativität anzapfen. In jedem Fall muss man schnell Neuberechnungen der Wirksamkeitsprognosen anstellen, um in den Verhandlungen flexibel reagieren zu können.
Sind Personalanpassungen unvermeidlich, besteht die Gefahr einer Restrukturierung immer darin, dass die „Leistungsträger“ und “High Potentials” das Unternehmen von sich aus verlassen und letztendlich die häufig genannten „Low Performer“ zurückbleiben. Dieser Begriff sollte nicht nach außen dringen. Es gab mal eine Zeit, in der diese Mitarbeiter/-innen eingestellt wurden und gepasst haben. Aber nun haben sich die Rahmenbedingungen verändert und diejenigen, die heute und in Zukunft nicht mehr passen, sollten möglichst freiwillig gehen. Empfehlenswert sind auf jeden Fall Abfindungsprogramme, so dass auf betriebsbedingte Kündigungen mit den Folgen der Sozialauswahl verzichtet werden kann. Gerade diese Zeit ist insbesondere für die Führungskräfte sehr intensiv, denn sie sollten nun versuchen, die „Richtigen“ anzusprechen. Dazu bildet eine glaubwürdige Leistungsbeurteilung mit regelmäßigem ehrlichem Feedback an die Mitarbeiter/-innen die beste Grundlage. Gefragt sind Wertschätzung und Hartnäckigkeit, auch wenn man nicht alle überzeugen wird. Schließlich bedarf es Bedenkzeit bis man für sich erkennt und einsieht, dass man keine große Zukunft in einem Unternehmen hat und eine gute Abfindung eigentlich ein Geschenk ist.
Gleichzeitig muss man versuchen, den Leistungsträgern den Verbleib schmackhaft zu machen, indem man ihnen Zukunftschancen aufzeigt und Ihr Wissen und Können in dieser Phase der Veränderung intensiv nutzt.
Revitalisierung
Im Ideal erfolgt die Rettung in der Rezession gefolgt von einer Restrukturierung und Revitalisierung mit dem hohen Ziel der Resilienz. Ob man es geschafft hat, weiß man erst Jahre später, wenn man dem Leitbild nähergekommen ist und die gesteckten Ziele erreicht hat.
Gekonnt geschrumpft?
Lassen Sie uns noch einmal das Bild des „Abspeckens“ bemühen: Erst wenn unser Umfeld wie Familie, Freunde und Kollegen uns bestätigen „Du siehst wirklich gut aus!“ und wir uns gesünder und vitaler fühlen, wissen wir, dass wir keine Muskelmasse eingebüßt, das Abnehmen nicht bis zur Magersucht getrieben oder durch Jojo-Effekte sogar alle Bemühungen torpediert haben. Auf professioneller Ebene werden sich Kunden- und Lieferantenbeziehungen stabilisieren und im besten Fall aufleben.
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