„Der Segen liegt im Einkauf“ – Ein Mythos.
Wie oft, in wie vielen ungezählten Meetings, haben wir es schon gehört? „Der Segen liegt im Einkauf“. Eine Plattitüde (Duden: „abgedroschene Redewendung“), die durch noch so häufiges Wiederholen weder richtiger noch sympathischer wird, und dass nicht nur deshalb, weil „der Segen“ üblicherweise im Gottesdienst erteilt wird.
Wachstum entsteht nicht im Einkauf. Wachstum entsteht im Verkauf. Daran werden auch noch so ausgefeilte Einkaufskonzepte, Einkaufs-Abteilungsstrukturen, Einkaufsprozesse, Shared Service Centers oder Verhandlungstechniken nichts ändern. Wer nichts verkauft, braucht auch nichts einzukaufen. Wer keine Verkaufsintelligenz hat, braucht keinen Einkauf, kein Marketing, keine Buchhaltung, kein Controlling, keine Unternehmensführung. Licht aus, abschließen, fertig. So sieht es ohne wachstumsfördernden Verkauf aus.
Das Argument, dass der Einkauf den „Segen“ bringe wird vor allem in den Unternehmen vehement vorgetragen, in denen Preisdruck herrscht. Je höher der (empfundene, herbeigeredete oder tatsächliche) Preisdruck, desto vehementer der Vortrag. Es wird trotzdem nicht richtiger, denn ein Unternehmen, das sein Wachstum aus dem Einkauf, also aus niedrigen Einstandspreisen generiert, ist offenbar nicht in der Lage, seine Produkte und Leistungen zu adäquaten Preisen an den Markt zu bringen. Mangelnde Verkaufsintelligenz muss also durch hohe Einkaufkompetenz kompensiert werden. Die Aussage, man befände sich in einem hochkompetitiven Umfeld und könne nicht einfach die Preise anheben, sondern müsse sie sogar regelhaft senken, ist nicht selten eine dürftige Ausrede. Sie lässt außer Acht, dass Kunden zwar auf Preiserhöhungen oder nicht mitgetragene Preissenkungen des Wettbewerbs mitunter sensibel reagieren, dieselben Kunden aber sehr wohl offen für echte Innovationen sein können. Aber wo sind diese?
Einkaufen ist wesentlicher leichter als Verkaufen. Wer einkauft, hat die Macht, kann sein Verhandlungsgeschick voll ausspielen, mit Abhängigkeiten spielen. Der Klassiker: Der Lebensmittel-Einzelhandel, der seine Macht ausspielt – bis ein wichtiger Lieferant irgendwann den Bogen überspannt sieht und sich selber auslistet. Man schaue dann, was geschieht. Verkäufer aber sehen sich stets diesem Muster gegenüber: Im B2B-Geschäft sitzen ihnen Einkäufer gegenüber, die ihre Kundenposition ausspielen und um die Elemente der Austauschbarkeit des Lieferanten wissen. Der Verkäufer muss eine Beziehung aufbauen und braucht regelhaft einen angemessenen Mix aus Preis, Produkt, Dienstleistungen, will er ein Geschäft generieren, das allen Beteiligten Freude macht.
Im B2C-Geschäft ist es nicht besser: Preis-Suchmaschinen erlauben hohe Transparenz. Was aber geschähe, wenn Unternehmen „Convenience“, „Leichtigkeit“, „Sicherheit“, „Komplexitätsreduzierung“ stärker und bewusster spielten? Wenn der Verkäufer im Elektrofachmarkt auf die Aussage des Kunden (Einkäufer): „Der Fernseher kostet im Internet 100 Euro weniger“ statt „Wir müssen hier auch Beratung, Strom, den Laden bezahlen und das alles kostet Geld“ antworten würde: „Sehen Sie und wenn Sie bei uns nur 50 Euro mehr ausgeben, liefern wir Ihnen das Gerät, wir stellen es auf, hängen es bei Bedarf an die Wand, verkabeln es mit Ihrer Dolby-Surround-Anlage, messen alles exakt ein und programmieren den Fernseher so, dass Sie sofort starten können“?
Wir dürfen bei aller Vertriebseuphorie nicht darüber hinwegsehen, dass es natürlich eines angemessenen Einstandspreises bedarf, um insbesondere im Commodity-Bereich wettbewerbsfähig zu bleiben. Manche unserer Projekte, die wir mit unseren Klienten durchführen, drehen sich auch tatsächlich um die Professionalisierung des Einkaufs, weil viele Einkaufsabteilungen ein erhebliches Potenzial auf der Straße liegen lassen. Natürlich müssen eine effiziente Struktur und ein hohes Verhandlungsgeschick im Einkauf gegeben sein. Aber kontinuierliches Wachstum? Dieses Wachstum beginnt oben, in den ersten Zeilen der GuV, es beginnt beim Verkauf.