Wie Corona uns den Spiegel vorhält
Wie wir auf diese Krise schauen, beeinflusst nicht nur unseren Gemütszustand sondern definiert auch maßgeblich, was aus uns als Gesellschaft wird.
Ja es ist surreal. Und doch ist es unsere neue Realität. Zunächst mochte man es kaum glauben: Schulen und Kitas geschlossen, Gastronomie und Clubs geschlossen, bleibt zuhause. Und das eine beherrschende Thema: die Pandemie. Sie diktiert quasi unser Leben, gibt den Takt vor. Und schränkt das Leben von Millionen Menschen drastisch ein. Wir sind mitten in einer völlig neuen Situation, mit der wir lernen müssen zu leben.
Wir müssen unsere Routinen umbauen und unser Handeln hinterfragen, müssen Kinder zu Hause bei Laune halten und dem Drang widerstehen, im aufkeimenden Frühling rauszustürmen und die Welt zu umarmen. Stattdessen sind wir verdammt, zu Hause zu hocken und mit den gegebenen Mitteln des digitalen Zeitalters mit der Mitwelt in Kontakt zu bleiben. Newsticker, die Nachrichten, Twitter-Trend „Corona“, Gerüchte, Befürchtungen, Ängste, Existenzängste, … Ja es kann einem schon mulmig werden bei den Nachrichten dieser Tage. Und doch gibt es auch den anderen Blick: vom erzwungenen Shut-Down zur Entschleunigung, raus aus dem Hamsterrad und mal reflektieren, was es sonst noch gibt im Leben. Wie wir auf diese Krise schauen, beeinflusst nicht nur unseren Gemütszustand, sondern definiert auch maßgeblich was aus uns als Gemeinschaft, als Gesellschaft wird.
Von der Panik zur Apokalypse
Hamsterkäufe gab es schon recht früh in der Corona-Chronologie. Es gibt Menschen, deren Urängste von der Corona-Krise angesprochen werden. Die Angst vor dem Zusammenbruch des Systems wurde durch Hollywood und Science Fiction zu düsteren, realistisch gezeichneten Bildern. Jetzt wird das Endzeitszenario durch eine gleichermaßen abstrakte und doch sehr tödlich-greifbare Bedrohung befeuert. Was hilft gegen die Apokalypse? Alkohol? Desinfektionsmittel?, Atemschutzmasken?
Toilettenpapier??? Dann wohl eher doch Impfstoffe (dauert wohl noch siehe hier) oder Medikamente und vor allem Mitgefühl und Solidarität!
Die Wiederentdeckung von Mitgefühl und Solidarität
Es geht auch anders: geleitet von Umsicht, Rücksicht und ja auch ein klein bisschen Demut (gibt es eh viel zu selten) meistert der größte Teil der Deutschen die doch erheblichen Beschränkungen des Alltags. Nicht nur das Respektieren der so dringend notwendigen neuen Regeln des Social Distancings. Auch die Kontaktaufnahme (und soziale Nähe) auf digitalem Wege: wir greifen häufiger zum Telefon, um die Stimmen geliebter Menschen zu hören und eingeschlafene Freundschaften zu reaktivieren.
Auch wenn extreme Beispiele für Egoismus und Rücksichtslosigkeit die Runde machen, es gibt auch ein Gefühl der Zusammengehörigkeit, des Miteinanders. Corona lässt uns zusammenrücken. Und zwar über das „Klatschen“ für die Mitarbeiter des Gesundheitssystems als Flashmob hinaus. Vermieter reduzieren in Not geratenen Kleinunternehmen die Miete während der behördlichen Schließung. Ein Hersteller von Pflegeprodukten stundet seinen Kunden die kompletten Außenstände bis zum Ende der Krise.
Mittelständler lassen auch ungenutzte Flächen weiter von ihrem Reinigungsdienstleister regelmäßig putzen. Mini-Jobber werden weiterhin bezahlt – auch dort, wo Homeoffice keine Option ist. Diese Beispiele beweisen Solidarität und machen Mut. Es wäre doch schön, wenn wir uns nicht zurückziehen und den Shutdown immer weitertreiben, sondern uns aktiv dem Domino-Effekt entgegenstellen und denen helfen, die besonders hart von den Auswirkungen getroffen sind.
Aber auch im privaten, sozialen Umfeld gibt es diese Mut machenden Beispiele: die Aufmerksamkeit für die Menschen in unserer Umgebung, besonders ältere und vorerkrankte, sogenannte Risikogruppen, hat sich deutlich erhöht. Die Bereitschaft Hilfe anzubieten ist riesig (https://nebenan.de/corona) und kann Dank digitaler Technologie auch unkompliziert und kontaktlos organisiert werden! Und damit kommen wir zu einem ganz entscheidenden Aspekt: wir haben Technologien zur Hand, deren Potenzial wir nur zu einem sehr geringen Maß ausnutzen. Jetzt bietet sich für Gesellschaft, Wirtschaft und Verwaltung die Chance enorme Potenziale zu heben.
Ein Tabu? Das Beste aus der Krise machen. Denn sie wird vorübergehen
Obwohl digitale Technologien seit Jahren scheinbare Normalität in unserem beruflichen und privaten Alltag sind (Cebit adé), werden digitale Technologien meist nur an Oberfläche oder im Offensichtlichen eingesetzt. Der Handel ist im E-Commerce angekommen, Industrieunternehmen haben Teile der Supply Chain digitalisiert und Energieanbieter konnten sich unter leichtem Druck durchringen, digitale Zähler zu installieren. Doch digital heißt nicht direkt auch smart. Und auch nicht wertschöpfend. Schon gar nicht innovativ oder bahnbrechend / gamechanging. Doch genau das vermögen digitale Plattformen, Blockchain, virtuelle Formate und digitalisierte, am Kunde ausgerichtete Prozesse. Jetzt wäre eine gute Zeit, die Aktivitäten im Bereich Digitalisierung auf den Prüfstand zu stellen.
Natürlich kämpfen Viele ums Überleben. Das ist unbenommen und muss anerkannt und idealerweise gezielt bekämpft werden. Dennoch: viele mittelständische Unternehmer, mit denen ich sprechen konnte, gehen von einem Worst Case von 20% Umsatzrückgang in 2020 aus. Durch Kurzarbeit lassen sich die Kosten sehr rasch anpassen, laufende Kosten (Verbrauchsmaterial, Energie, usw.) sind teilweise bzw. zu einem großen Teil absenkbar, während Fixkostenblöcke für Inventar, Gebäude und Fuhrpark nicht flexibel angepasst werden können. Wenn Rücklagen bestehen und wir mal die Apokalypse als Szenario ausschließen, wird es in näherer Zukunft wieder „losgehen“.
Die Unternehmen, die die Krise überleben und diese gleichzeitig genutzt haben, ihre Prozesse zu optimieren, Einsatzmöglichkeiten von digitaler Technologie entlang der Wertschöpfung zu prüfen und umzusetzen, werden in der Pole Position sein. Remote arbeiten als Erfolgsfaktor statt Hygienefaktor einsetzen. Innovationen mittels digitaler Ideationplattformen ermöglichen, neue Geschäftsmodelle erdenken, Mitarbeiter in digitalen Technologien und agilen Arbeitsweisen qualifizieren und weiterbilden, Produktportfolio auf den Prüfstand stellen und den Go-to-Market überprüfen und neu denken. Als integrierten Vermarktungsansatz entlang des Kundenlebenszyklus. Das alles wäre möglich.
Eine andere soziale Gesellschaft? Etwas weniger Wut, Hass und Rohheit?
Was wir denken, prägt unser Handeln und unser Auftreten und unsere Wirkung auf andere. Wenn ich Klopapier hamstere und Angst vor einem Endzeitszenario habe, dann werde ich wohl kaum souverän mit meinen Kollegen, Kunden und Lieferanten sprechen. Und vermutlich meiner Mitwelt mit Skepsis und Misstrauen begegnen. Wenn ich hingegen optimistisch bleibe und an die Überwindung dieser Menschheitsherausforderung glaube, dann kann ich großzügig sein und anderen helfen, dann grüße ich den Fremden auf der Straße, statt mich angewidert wegzudrehen. Helfe der alten Dame im Nachbarhaus beim Einkauf oder beim Gassigehen mit Dackel Waldemar. Solidarisiere mich mit dem Rest meines Veedels, meines Kiezes oder meiner Stadt. Spende Trost, wo er gebraucht wird und höre zu, wo ein offenes Ohr gefragt ist. Und wenn das so ist und eine Mehrheit diese Erfahrungen in der Corona-Krise teilt, dann haben wir die historische Chance, der zunehmenden Verrohung in unserer Gesellschaft eine Absage zu erteilen, zumindest aber eine mächtige Gegenbewegung.
Der Tag nach Corona. Nichts wird sein wie es war
Diese nie dagewesenen Auswirkungen werden unsere Sichtweisen verändern. Wie wir Arbeit und Privatleben betrachten. Wie wir soziale Nähe schätzen. Wie wir auf uns und unsere Mitmenschen achten. Zumindest besteht dieses Potenzial. Und vielleicht hat diese Krise noch mehr Gamechanging Potenzial. Wir könnten gesunder mit uns selbst umgehen, mehr in uns reinhören und Signale von Überlastung, seelischen und emotionalen Ungleichgewichten besser erspüren. Näher bei uns sein. Und uns fragen: wie viel bin ich bereit, an Energie zu geben? Was bin ich bereit zu leisten? Und was ist mir wichtig im Leben? Diese existentiellen und großen Fragen könnten Konsum und Rastlosigkeit ausstechen oder zumindest gleichziehen.
Weniger Dienstreisen – mehr virtuelles kommunizieren und arbeiten
In Bezug auf unsere Arbeitswelt werden wir vielleicht feststellen, dass Homeoffice mehr ist als im Schlafanzug lustlos vor dem Rechner zu sitzen und während stummgeschalteter Videokonferenzen (natürlich) ohne Bild Gott-weiß-was-machen. Remote Arbeiten kann hoch produktiv sein oder auch nicht. Es liegt an den Organisationen und Führungskräften Raum und Möglichkeiten zu schaffen. Die Technik ist dabei die kleinste Herausforderung. Es geht um Methoden, Kenntnisse und Fähigkeiten, Regeln der Zusammenarbeit und klare Absprachen. Vielleicht müssen wir auch nicht mehr so viel reisen. Viele Geschäftsreisen sind beides, unproduktiv und extrem unwirtschaftlich. So können wir gleichzeitig positive Effekte für Klima und Umwelt schaffen. Und damit letztlich für uns alle. Schöner Gedanke. Und davon brauchen wir gerade jede Menge. Denn: wir werden, was wir denken.
https://www.kreutz-partner.de/remote-arbeiten
Vollständiger Artikel von Manuel Kreutz "Wie Corona uns den Spiegel vorhält"