Megatrend KI: Wir stehen noch am Anfang der Reise
Wie künstliche Intelligenz bereits jetzt unseren Alltag beeinflusst und wie sie die Zukunft der Consultingbranche gestalten wird, erläutert Sebastian Vieregg, Google Germany, im Interview mit BDU-Präsident Ralf Strehlau. Fest steht: Es wird eine abenteuerliche Reise, die bereits jetzt vieles verändert.
Ralf Strehlau: Künstliche Intelligenz bahnt sich immer mehr einen Weg in unsere Arbeitswelt. Wo stehen Sie bei Google bei dem Thema mit KI?
Sebastian Vieregg: Wir bei Google haben das Unternehmen bereits vor sechs Jahren auf KI ausgerichtet. Und wie schon unser CEO Sundar Pichai gesagt hat: KI wird alles beeinflussen. Genau darin sehen wir eine wichtige Möglichkeit, unsere Mission zu erfüllen, nämlich die Informationen der Welt zu organisieren und sie allgemein zugänglich und nutzbar zu machen. Seitdem haben wir auf allen Ebenen in KI investiert – und Google AI und DeepMind setzen bereits neue Maßstäbe.
Ralf Strehlau: Wie wird Google das Thema in der Zukunft besetzen?
Sebastian Vieregg: Wir entwickeln schon seit dem ersten Tag an Technologien mit dem Ziel, Probleme zu lösen und den Menschen in ihrem täglichen Leben zu helfen. Und wir glauben, dass KI und andere fortschrittliche Technologien das große Potenzial haben, genau dies zu tun: den aktuellen und zukünftigen Generationen dabei zu helfen, die Herausforderungen ihrer Zeit anzugehen und sich für das Wohl aller einzusetzen. Gleichzeitig ist KI eine Technologie, die sich noch in der Entstehungsphase befindet und birgt damit Komplexitäten und Risiken – unsere Entwicklung und Nutzung von KI muss diese Risiken berücksichtigen. Deshalb ist es für uns als Unternehmen unerlässlich, KI verantwortungsvoll zu betreiben. Wir wollen hierbei führend sein und Maßstäbe setzen, die ethische Grundsätze anwenden, die auf menschlichen Werten beruhen. Wir sind uns bewusst, dass dieselben Technologien auch wichtige Herausforderungen mit sich bringen, die wir klar, überlegt und positiv angehen müssen. Deshalb handeln wir nach KI-Prinzipien – unseren so genannten AI-Principles, in denen wir uns zu einer verantwortungsvollen Technologieentwicklung verpflichten.
Ralf Strehlau: Was ist Ihrer Meinung nach der größte Trend bei KI?
Sebastian Vieregg: KI ist eine transformative Technologie, die unserer Gesellschaft und den Menschen auf der ganzen Welt sinnvolle und positive Veränderungen bringen kann. Mit Hilfe von KI begegnen wir schon jetzt vielen Herausforderungen mit intelligenten und praktischen Lösungen. KI ist längst Teil des täglichen Lebens und wird von Millionen von Nutzer/-innen weltweit genutzt – z. B. in Google Maps, wo Nutzer/-innen spritsparende Routen für ihre Navigation auswählen können – und das powered by Google AI. Aber auch große und kleine Unternehmen auf der ganzen Welt verlassen sich auf unser Werbesystem Google Ads, um Kund/-innen zu finden und ihr Geschäft auszubauen, und wir machen dies mit KI noch einfacher. Ein Beispiel dafür ist Performance Max: Werbetreibende teilen uns ihre Kampagnenziele und ihre kreativen Inhalte mit, und die KI erstellt anschließend automatisch eine hocheffektive Anzeigenkampagne. KI kann aber auch zur Bewältigung gesellschaftlicher Herausforderungen eingesetzt werden. Dazu gehören der Kampf gegen die Klimakrise, die Verbesserung der Gesundheit der Menschen, die Warnung vor Naturkatastrophen und die Unterstützung wissenschaftlicher Durchbrüche und mehr. Wichtig zu verstehen: Wir stehen alle noch am Anfang dieser KI-Reise. Niemand hat alle Antworten parat. KI ist wie der Rohstoff Ton. Es braucht Menschen mit Neugier, Kreativität und Leidenschaft, um das reiche Potenzial der KI zu nutzen und uns selbst und anderen zu helfen.
Ralf Strehlau: Welche der drei Weltregionen China, USA und Europa sind in der Forschung zu KI am weitesten und in welchen Bereichen? Wie sehen Sie die aktuelle Situation?
Sebastian Vieregg: Aus unserer Sicht geht es bei der Entwicklung von KI-Technologien in erster Linie nicht um Geschwindigkeit, sondern darum, einen verantwortungsvollen Ansatz zu verfolgen, der viele Beteiligte mit einbezieht: Entwickler/-innen, Anwender/-innen und Nutzer/-innen, Wissenschaftler/-innen, die Zivilgesellschaft, Regierung und Behörden. In vielen Bereichen ist Deutschland in der Technologie-Spitzengruppe, steht für Fortschritt und hat viel Potenzial – auch im Vergleich zu anderen Technologie-Hotspots, wie den USA oder China. Seit mehr als 20 Jahren – denn solange gibt es Google in Deutschland schon – kooperieren wir mit vielen Partnern in Deutschland in vielen Bereichen der Digitalisierung. KI ist hier keine Ausnahme. Beim Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) sind wir seit 2015 Industriegesellschafter und auch mit dem Max-Planck-Institut für Informatik sind wir eine strategische Forschungspartnerschaft eingegangen.
Gerade erst haben wir zusammen mit IW Consult die Studie ‘Der digitale Faktor – Wie Deutschland von intelligenten Technologien profitiert’ vorgestellt. Eine zentrale Erkenntnis: Digitale Technologien und Künstliche Intelligenz werden für eine dynamische Entwicklung der deutschen Wirtschaft immer wichtiger. In Zukunft könnte sich die Bruttowertschöpfung in Deutschland durch generative KI um 330 Milliarden Euro erhöhen, sollte mindestens die Hälfte der Unternehmen entsprechende Technologien einsetzen.
Ralf Strehlau: Was wird sich im Arbeitsalltag bei Google durch KI verändern?
Sebastian Vieregg: Der Arbeitsalltag bei Google ändert sich ja schon seit Jahren kontinuierlich. Durch KI werden automatisierbare Arbeitsprozesse schneller und effizienter, was wir auch in der alltäglichen Arbeit feststellen und begrüßen. In der Vergangenheit waren auch bei uns die Prozesse und die Bedienung von Tools beispielsweise für das Online-Marketing (also bei Google Ads) noch manueller. Heutzutage erlaubt die KI unseren Kunden, Entscheidungen über Gebote, Keywords und Texte im Suchmaschinenmarketing bestmöglich zu treffen und Marketingbudgets optimal zu allokieren. Das macht nicht nur das Marketing mit Google performanter und besser, es gibt Google-Mitarbeiter/-innen auch die Möglichkeit, stärker auf strategischen und transformativen Themen mit Kund/-innen und Partnern zu arbeiten.
Ralf Strehlau: Inwiefern betrifft KI Ihrer Meinung nach die Consultingbranche?
Sebastian Vieregg: Kunden in allen Branchen haben derzeit einen erheblichen Beratungsbedarf. KI – vielleicht noch mehr als Technologien in der Vergangenheit – werden transformativ alle Arbeitsprozesse, alle Produkte und alle Services in Unternehmen betreffen. Damit ändern sich auch die notwendigen Kompetenzen, Prozesse, Service- und Geschäftsmodelle. Für die Consultingbranche ergibt sich daraus eine erhebliche Chance: Mehr denn je werden Expert/-innen und strategische Berater/-innen in den Boardroom eingeladen, um diese Transformation zu begleiten und Chancen und Risiken zu benennen.
Ralf Strehlau: Wo kann KI im Beratungsalltag hilfreich sein, wo verbergen sich aber vielleicht auch Risiken?
Sebastian Vieregg: Wie in anderen Branchen auch, kann KI in der Beratung dazu dienen, sich Inspiration zu verschaffen, schnell einen Überblick zu neuen Themen zu erhalten und Gedanken und Konzepte vorzustrukturieren. Gleichzeitig las ich erst kürzlich in einem Handelsblatt-Beitrag, dass der Europachef einer großen Strategieberatung Künstliche Intelligenz als ein ‘zweischneidiges Schwert’ im Consulting bezeichnet. Nach seiner Analyse kann der Einsatz von KI in der Beratung bei kreativen Dingen sehr wohl hilfreich sein, aber er stellte auch fest, dass ‘Technologiegläubigkeit und Bequemlichkeit’ bei analytischen Problemlösungen zu schlechteren Ergebnissen führen kann. Ich vermute, weil wertmaximierende Lösungen, die individuell auf den Kunden zugeschnitten sind, nicht ohne weiteres durch KI gefunden werden können, wenn diese eine wirkliche Tiefenanalyse und individuellen Konzepte benötigen.
Ralf Strehlau: Wie schätzen Sie es ein, dass KI die Beratungsleistung ersetzen kann? Halten Sie es für denkbar, dass eine KI beispielsweise ein Sanierungskonzept oder auch eine Stellenbesetzung komplett übernehmen kann?
Sebastian Vieregg: Wir beginnen gerade erst, die Potenziale von KI zu verstehen. In den von Ihnen genannten Beispielen kann KI sicherlich assistieren und eine große Erleichterung darstellen. Gleichzeitig sind Kundenbedürfnisse wie oben schon beschrieben sehr individuell. Das betrifft umfassende Sanierungskonzepte genauso wie die Besetzung von Stellen, insbesondere im Führungsbereich. Um Inspiration und erste Ansätze für neue Konzepte zu bekommen oder um eine Hilfestellung im Rekrutierungsprozess zu bekommen, mag KI bzw. können KI- basierte Anwendungen vielleicht heute schon hilfreich sein. Ob und inwieweit welche Beratungsaufgaben in der Zukunft komplett von KI gestemmt werden können, lässt sich heute noch nicht voll beurteilen.
Ralf Strehlau: Welche menschlichen Eigenschaften wird KI in den nächsten 5-10 Jahren nicht ersetzen können?
Sebastian Vieregg: KI übertrifft in vielen Bereichen schon heute die menschliche Intelligenz. Im Bereich dessen, den wir mit ‘Zwischenmenschlichkeit’ bezeichnen würden, kann KI jedoch nicht mithalten. Auch in der Zukunft ist zu erwarten, dass KI lediglich eine Simulation beispielsweise von Empathie und Mitgefühl darstellen kann. Auf einer Konferenz hatte ich kürzlich die Gelegenheit den Gehirn- und KI-Forscher Anil Seth, einen Professor für Cognitive und Computational Neuroscience, kennenzulernen. Er macht einen Unterschied zwischen ‘Intelligence’ und ‘Consciousness’ (also: Bewusstsein). Letzteres beschreibt er als eine kontinuierliche, aktive Konstruktion des Gehirns, bei der Vorhersagen über die Welt mit Sinneseindrücken in Einklang gebracht werden. Dieser aktive Prozess der subjektiven Wahrnehmung, der mehr ist als nur eine passive Wiedergabe der äußeren Realität, kann von KI nicht geleistet werden. Somit rückt in der Betrachtung der Einschränkungen von KI letztlich wieder ein humanistischer Gedanke in den Mittelpunkt.
Ralf Strehlau: Der BDU hat eine interne Arbeitsgruppe, die sich mit dem Thema Regulierung von KI beschäftigt. Sieht Google regulierungsbedarf beim Thema KI und wenn ja, wo?
Sebastian Vieregg: Zunächst: KI ist zu wichtig, um sie nicht gut zu regulieren. Es ist uns wichtig, den Regulierungsbehörden ein hilfreicher und engagierter Partner zu sein, der sein Fachwissen, seine Erfahrung und seine Instrumente zur Verfügung stellt, wenn wir diese Themen gemeinsam angehen. Schon vor einigen Jahren und
bevor das Thema KI in Deutschland überhaupt so richtig in Fahrt kam, hat Google als eines der ersten Unternehmen überhaupt KI-Prinzipien formuliert. Das sind unsere Leitlinien und unsere Empfehlungen, wie wir mit Künstlicher Intelligenz verantwortungsvoll umgehen möchten. Wir können nur dazu raten, das Thema Regulierung und das Thema Verantwortungsbewusstsein im Zusammenhang mit KI sehr ernst zu nehmen – denn auch wir tun das. Daher ist es sicherlich hilfreich, wichtig und richtig, dass der BDU eine solche Arbeitsgruppe unterhält und sich auch mit dem Thema Regulierung von KI beschäftigt. Wir laden immer wieder Expert/-innen zum kontinuierlichen Dialog ein, denn das Thema KI wird uns noch lange und in zunehmendem zunehmendem Maße intensiv begleiten.
Sehr geehrter Herr Vieregg, ich bedanke mich ganz herzlich für das Gespräch!