Interview: Wir Freiberufler schaffen Werte für die Gesamtgesellschaft
Über die Rolle von Freiberuflern in Wirtschaft und Gesellschaft - Prof. Dr. Wolfgang Ewer, Präsident des Bundesverband der Freien Berufe e.V. (BFB) im Gespräch mit BDU-Präsident Ralf Strehlau
Ralf Strehlau: Sehr geehrter Herr Professor Ewer, starten wir doch mit einem ganz aktuellen Thema: Der Einsatz von Berufsangehörigen der Freien Berufe in Bundesbehörden steht zurzeit in der Kritik. Ein Vorwurf lautet dabei, vor allem die beratenden Berufe würden in ihren Beratungsmandaten Einfluss auf gesetzgebende Verfahren nehmen. Wie sehen Sie das?
Wolfgang Ewer: Die Vorstellung, dass externe Berater in ihrer Beratertätigkeit Einfluss auf bestimmte politische Entscheidungen, noch dazu im Drittinteresse von Mandanten nehmen, hat mit der Wirklichkeit nichts zu tun.
Erstens gibt es exakte politische Zielvorgaben und externe Spezialisten sollen letztlich nur beraten, wie man diese am besten, wirtschaftlichsten und rechtssicher erreicht. Zweitens gibt es mehrere Kontrollebenen: Die erste Kontrollebene ist die der Ministerialbeamten, die einen Beratereinsatz in der Regel für nicht notwendig erachten und ihr Grundverständnis darin sehen, deren Arbeit kritisch zu begleiten.
Die zweite Kontrollebene sind die Gesetzgebungsverfahren selbst. Eingangs steht der Referentenentwurf, dann folgen Ressortabstimmungen, dann kommt der Regierungsentwurf und dann erst beginnt das eigentliche Gesetzgebungsverfahren. Es gibt also viele Checks and Balances und es ist wahrlich nicht so, dass die Vorschläge der Berater am nächsten Tag 1:1 im Gesetzblatt stehen könnten.
Ralf Strehlau: Was macht für Sie als Präsident des BFB, in dem der BDU als Vertreter der Consultingbranche Mitglied ist, die Freiberuflichkeit aus?
Wolfgang Ewer: Wir charakterisieren die freiberufliche Tätigkeit angelehnt an § 1 des Partnerschaftsgesellschaftsrechts als höherwertige Dienstleistung, die aufgrund besonderer beruflicher Qualifikation oder schöpferischer Begabung, persönlich, eigenverantwortlich und fachlich unabhängig erbracht wird.
Unsere Besonderheit ist unser Gemeinwohlbezug, denn es entsteht ein essentieller Nutzen nicht nur für den Auftraggeber, sondern auch für die Allgemeinheit: Wir Freiberufler schaffen dank unserer "Personal Social Responsibility" Werte für die Gesamtgesellschaft. Dieser Nutzen liegt beim Consulting etwa darin, dass Ihre Beratungsleistungen einen wertvollen Beitrag zur Stabilisierung der deutschen Wirtschaft beisteuern. Das ist wiederum die Voraussetzung dafür, dass von Unternehmen und Betrieben Steuern und Abgaben gezahlt werden. Das versetzt den Staat in die Lage, seine Aufgaben wahrzunehmen und seine Leistungen sowie Angebote zu finanzieren.
Ralf Strehlau: Auch die Freien Berufe sind im Wandel: Wohin geht die Entwicklung angesichts zunehmender Kommerzialisierung einerseits und Werbeverboten versus Googlelisierung andererseits?
Wolfgang Ewer: Auch wir Freien Berufe müssen natürlich marktfähig sein und wir müssen unsere entsprechenden Dienstleistungen auch im Markt platzieren können. Daher ist es gut, dass beispielsweise die berufsrechtlichen Werbeverbote von den Gerichten zunehmend auf den Prüfstand gestellt und relativiert worden sind.
Ich bin in einer Zeit Anwalt geworden, in der selbst ein Hinweis auf eine urlaubsbedingte Abwesenheit in der Tageszeitung kritisch bewertet wurde. Hier hat eine Modernisierung eingesetzt, die durch das Bundesverfassungsgericht und den Europäischen Gerichtshof stark gefördert worden ist.
Auf der anderen Seite dürfen bei aller Marktfähigkeit die Besonderheiten der Freien Berufe auf keinen Fall untergraben werden. Stichwort: Wissensvorsprung: Der Leistungsnehmer kann in der Regel aufgrund der hohen Fachexpertise und Komplexität weder die Qualifikation des Leistungserbringers noch die Qualität der erbrachten Dienstleistung abschließend beurteilen. Daher sind strengere Maßstäbe, gewahrt durch die Berufsrechte, auch angebracht. So gibt es etwa Berufsvorbehalte in verkammerten Berufen oder eben hohe Anforderungen an die Qualitätssicherung wie vom BDU praktiziert.
Ralf Strehlau: Derzeit sind Sozietäten zwischen verkammerten und nicht verkammerten Berufsgruppen – z. B. zwischen Rechtsanwälten und Unternehmensberatern – nicht erlaubt. Das BMVJ beabsichtigt, dies zu liberalisieren. Welchen Standpunkt hat der BFB hier?
Wolfgang Ewer: Die Meinungsbildung hierzu ist im BFB im Fluss, die Interessenlagen unterscheiden sich je nach freiberuflicher Berufsgruppe. Insofern gibt es aktuell keine festgezurrte Verbandsposition. Perspektivisch kann man eine Öffnung erwarten. Im Vordergrund der Diskussion bleibt bei allem aber nach wie vor der Schutz des Berufsgeheimnisses mit Verschwiegenheitspflicht sowie Zeugnisverweigerungsrecht und der Schutz vor Fremdinteressen. Dies sind hohe freiberufliche Güter und diese dürfen nicht zur Disposition stehen oder verwässert werden.
Und: Man wird auch in Zukunft stark unterscheiden müssen zwischen dauerhafter gesellschaftsrechtlicher Kooperation und projektorientierter Zusammenarbeit. Wenn der Mandant bei Letzterem zustimmt, dürfte es unkritisch sein, aber man muss immer genau abwägen.
Das Thema wird ja aktuell auch auf Initiative des BDU in verschiedenen – teils ad-hoc eingerichteten – BFB-Gremien diskutiert. Einen solchen Input sehen wir übrigens grundsätzlich als unabdingbar und wertvoll an. Damit bleiben wir dank Ihnen, dank unserer Mitgliedsorganisationen als Dachverband am Puls der Zeit.
Ralf Strehlau: Werden wissensbasierte Dienstleistungen durch die Digitalisierung bzw. Künstliche Intelligenz ganz ersetzt oder zumindest deutlich geschwächt?
Wolfgang Ewer: Eins vorneweg: Auch bei den Freien Berufen brauchen wir die Digitalisierung, um unsere eigenen Ergebnisse zu verbessern. Eine umfangreichere Datenanalyse etwa ermöglicht schnellere und zusätzlich abgesicherte Leistungen. Wir sollten dabei allerdings nicht vergessen, dass diese Entwicklung zu einer stärkeren Konzentration führen dürfte, mit Vorteilen für die großen Marktteilnehmer, weil die Mittel dort viel substanzieller vorhanden sind, sich dieser Tools auch zu bedienen.
Weiterhin können wir feststellen, dass der Personalbedarf deutlich diversifizierter ausfällt. Zur Prüfung einfacher rechtlicher Sachverhalte, bei denen es häufig um Randgeschehen im Rechtsstaat geht und dessen Funktionsfähigkeit dort weniger in Abrede gestellt werden kann, braucht man kaum mehr hoch qualifizierte Spezialisten. Hier werden in Zukunft vermehrt Angebote entlang Anwendungen entstehen, die auf Künstlicher Intelligenz basieren.
Bei aller effizienzgetriebenen Betrachtung der digitalen Möglichkeiten in der beruflichen Praxis dürfen wir aber nicht vergessen: Egal, welche Systeme und Tools eingesetzt werden, der Freiberufler muss die Gesamtverantwortung behalten und die Plausibilität der Lösung sicherstellen. Hinzu kommt: Empathische Nähe und persönlicher Austausch sind unabdingbar für freiberufliche Vertrauensdienstleistungen. Das leistet eine automatisierte Dienstleistung definitiv nicht.
Ralf Strehlau: Überhaupt bzw. den richtigen Nachfolger zu finden, gestaltet sich auch für Freiberufler schwierig. Ergibt sich hieraus zunehmend ein „Versorgungsengpass“?
Wolfgang Ewer: Was wir ganz allgemein feststellen, ist, dass in nahezu allen klassischen Freien Berufen das Bestreben der Berufsträger, irgendwann einmal Partner oder Mitunternehmer zu werden, spürbar zurückgegangen ist. Überdies sinkt der Anteil der jungen Menschen, die Führungsverantwortung übernehmen wollen, seit einiger Zeit. Wir müssen erkennen und akzeptieren, dass die jüngere Generation ganz offensichtlich andere Vorstellungen für ihre Lebens- und Karriereplanung hat.
Was können wir hier tun? Ich glaube, dass es extrem wichtig ist, immer wieder deutlich zu machen, dass es ein hohes Maß an Lebensqualität verkörpert, die Kunden mit einer guten, freiberuflichen Dienstleistung maßgeblich unterstützen zu können. Das ist das, was mich jeden Tag immer aufs Neue antreibt und mich in hohem Maße zufrieden sein lässt. Daher werbe ich auch mit Herzblut dort für eine selbstständige, freiberufliche Tätigkeit, wo immer es möglich ist.
Ralf Strehlau: Wie bewerten Sie die aktuelle Situation bei der Nachwuchsgewinnung und Diversity in den Freien Berufen ?
Wolfgang Ewer: Auch und gerade die Freien Berufe sind auf gut ausgebildete Fachkräfte angewiesen, damit sie ihre hoch qualifizierte Dienstleistung erbringen können. Daher engagiert sich der BFB unter anderem in namhaften Gremien wie der Allianz für Aus- und Weiterbildung. Wir registrieren, dass das Bewusstsein für Diversity deutlich zugenommen hat. Dies ist bei uns Freien Berufen indes gelebte Realität. Schließlich ist der Anteil von Frauen ist in vielen Freien Berufen deutlich höher als im Durchschnitt der Selbstständigen insgesamt.
Stolz sind wir zudem darauf, dass wir Freiberufler unter allen Wirtschaftsbereichen mit 13,4 Prozent den höchsten Anteil von Auszubildenden mit ausländischen Wurzeln haben. In puncto Fachkräftesicherung ist es für alle Freien Berufe enorm wichtig, auch dieses Nachwuchspotenzial intensiv und noch besser zu nutzen.
Ralf Strehlau: Sehr geehrter Herr Professor Ewer, ich bedanke mich ganz herzlich für das Gespräch!