ERLESEN

Das Laden von Elektroautos muss nachhaltig werden und ist die Grundlage für e-Mobilität

Jörg Reimann ist Vorsitzender der Geschäftsführung von Digital Charging Solutions GmbH (DCS). Die DCS bietet Zugang zu einem der größten und am schnellsten wachsenden, voll integrierten öffentlichen Ladenetzwerke mit mehr als 480.000 Ladepunkten. Durch Ladelösungen für führende Automobilhersteller und Flottenbetreiber ermöglicht das Unternehmen es Besitzern von E-Fahrzeugen, öffentliche Ladestationen weltweit zu finden, zu nutzen und die Bezahlung abzuwickeln. Im Gespräch mit BDU-Präsident Ralf Strehlau erläutert Jörg Reimann aktuelle Herausforderungen der eMobility-Branche und warum noch immer Pionierarbeit zu leisten ist.

Strehlau: Inwiefern hat sich der Markt der Elektromobilität in den letzten Jahren verändert?
Reimann: Wir befinden uns in einem sehr spannenden Entwicklungsabschnitt. In der ersten Phase waren es die technisch Führenden, die die Industrie geshaped haben. Also die Tesla-Fahrer und diejenigen, die den neuesten BMW, Mercedes oder Audi fahren wollen und zu den Early Adoptern gehören. In der aktuellen Phase wird die Philosophie der verbrennerlosen Mobilität auch auf die breite Masse übertragen, sodass der klassische Golf-Zweitwagen durch ein Elektroauto ersetzt wird. Wichtig dabei: Die Autos sollen ein Nutzererlebnis mitbringen, das sich nicht von klassischen Verbrennern unterscheidet. Wir sind nicht mehr in der Phase, in der nur die überzeugten, technik- und innovationsaffinen Verbraucher ein E-Auto fahren, sondern auch die, die nur von A nach B wollen.

 

Strehlau: Sind wir also am Tipping-Point?
Reimann: Ja, aber es ist eher ein Tipping-Plateau. Es wird ein selbstverstärkender Mechanismus entstehen, weil die Produkte jetzt schon attraktiv sind und auch in Zukunft sein werden. Aktuell müssen wir aber eine Übergangsphase überbrücken. Man kann zwar Neuwagen bestellen, aber es gibt lange Wartezeiten. Das führt zu Frustration bei den Kunden und einer gewissen Unsicherheit im Markt. Aber grundsätzlich kommen immer mehr Fahrzeuge mit Elektroantrieb in die Produktion und sobald die in hoher Stückzahl ausgeliefert werden, haben wir Fahrzeuge auf dem Markt, die eine hohe Reichweite haben und die vom technischen Design noch sehr viel attraktiver sein werden.

 

Strehlau: Ist die Verfügbarkeit von Ladesäulen noch ein Thema in Bezug auf die Akzeptanz von E-Mobilität?
Reimann: Nein, die Ladeinfrastruktur an sich ist laut Umfragen schon länger kein Thema mehr. Reichweitenangst war lange Zeit DER Kaufhinderungsgrund. Letzte Studien des Bundesverbandes der Energie und Wasserwirtschaft zeigen jedoch, dass der größte Hinderungsfaktor aktuell die Verfügbarkeit der Fahrzeuge ist. Darauf folgt der Preis und die Verfüg- und Auffindbarkeit der Ladesäulen. Der Ausbau der Ladeinfrastruktur ist in der Vergangenheit teilweise so stark vorangetrieben worden, dass manche Stimmen sogar von Überkapazitäten sprechen. Aber aus meiner Sicht muss die Ladeinfrastruktur dem Fahrzeugbestand immer ein Stück voraus sein. Jetzt muss der Fahrzeugbestand nachwachsen.

 

Strehlau: Inwiefern spielt die weitere Digitalisierung des Marktes eine Rolle und wo gibt es noch Nachbesserungsbedarf?
Reimann: Ich denke, mehr Anreiz in Datentransparenz und Digitalisierung bringt dem Kunden einen größeren Mehrwert, als nur weitere Ladesäulen. Wir benötigen eine gute Balance, damit unsere Kundinnen und Kunden unseren Service optimal nutzen können. Das Ziel ist, das Suchen, das Finden, das Reservieren und das Zahlen an der Ladesäule einfacher zu machen. Außerdem ist die Qualität der Infrastruktur in der ganzen Branche noch ein großes Hemmnis. Wenn diese an einer Stelle nicht funktioniert, führt das zu Frustration bei den Nutzenden. Das kann zum Beispiel bedeuten, dass ein Kartenterminal nicht funktioniert, die Ladestation fälschlicherweise als frei angezeigt wird, oder die Ladestation nicht an der Stelle steht, an der sie in der App markiert ist. Für diese Qualitätssicherung sorgen wir als Dienstleister, damit das Erlebnis für die Nutzenden stimmt. Insofern ist ohne ein digitales Interface elektrisches Fahren heute gar nicht möglich und sinnvoll.


Strehlau: Muss oder sollte der Staat in diesem Prozess regulierend eingreifen?

Reimann: Wir müssen den Sweet Spot zwischen öffentlicher Förderung und marktwirtschaftlichen Anreizen finden. Meiner Meinung nach ist zu viel staatliche Förderung nicht der richtige Weg. Auf dem Land braucht es möglicherweise staatliche Anreize, um eine Mindestversorgung sicherzustellen. Wenn allerdings zu viele Standards, Regeln und Investitionsvorschriften für die Ladeinfrastruktur vorgegeben werden, überträgt sich das letztendlich als überhöhte Investitionsanforderungen an den Investor.

 

Strehlau: Inwiefern bieten sich dennoch Chancen in der digitalen Entwicklung?
Reimann: Dafür sind wir in Deutschland tatsächlich ein sehr schönes Beispiel. Es wird schon länger darüber diskutiert, ob Ladesäulen mit einem Kartenlesegerät ausgestattet sein sollten. Denn eigentlich reicht eine App. Außer in Deutschland ist nahezu in allen Ländern um uns herum digitales Payment der Standard. Wir hätten damit die Möglichkeit, dass auch Deutschland den Quantensprung macht und ins digitale Payment einsteigt. Aber die Betreiber müssen natürlich aus Kundensicht denken. Und je mehr Möglichkeiten ein Kunde hat, um zu zahlen, desto eher lädt er an der Säule des jeweiligen Betreibers. Aber das wird natürlich direkten Einfluss auf die Investitionsfreudigkeit in Infrastruktur haben, denn zusätzliche Geräte kosten auch zusätzliches Geld.


Strehlau: Sie sind ein Pionier in Ihrem Markt. Wie schaffen Sie es, innovativ zu bleiben?
Reimann: Wir sind zwar mittlerweile ein Grown-up, aber haben uns im Kern die Start-up-Mentalität beibehalten. Wir befinden uns gerade im Übergang und sind dabei, eine professionelle, hocheffiziente Company zu werden. Ich komme aus einem Großkonzern und habe mich bewusst dagegen entschieden. Jetzt arbeite ich dafür jeden Tag, dass unser Unternehmen kein Großkonzern wird. Ich weiß, welche Strukturen, welche Prozesse, welche Abläufe und welche Bürokratie uns hemmen würden. Ich weiß aber auch, was hier gebraucht wird, damit wir unsere Innovationskraft beibehalten und pflegen können. Das ist ein großer Unterschied zu behäbigeren Konkurrenten von uns.


Strehlau: Arbeiten Sie auch mit Unternehmensberatungen zusammen?
Reimann: Ja, für unser Pionierdenken ist es wichtig am Puls der Zeit zu bleiben und deswegen haben wir natürlich auch ab und zu mal Consultants an Bord. Diese benötigen wir meistens bei der Entwicklung neuer Geschäftsfelder. Wir brauchen keine Beratung für E-mobility und Payment, aber für Skalierungsoptionen und zur Branchenentwicklung. Was passiert beim Thema Smart-Charging, wie kann bidirektionales Laden so funktionieren, dass der Kunde mit seiner Batterie Strom puffern und möglicherweise auch Geld damit verdienen kann? Dafür müssen die Netze optimiert werden und die Batterien müssen das aushalten können. Auch die Gewährleistung ist nicht abschließend geklärt. Wer übernimmt denn die Verantwortung, wenn mit der Technik etwas schiefläuft? Hier ist in den nächsten Jahren auf jeden Fall noch viel Pionierarbeit zu leisten und da hilft punktuell Beratungsknowhow immens.


Strehlau: Elektromobilität trägt einen sehr großen Teil zur Nachhaltigkeit der Wirtschaft bei. Durch den Kohleausstieg und den Putin-Krieg ist die grüne Transformation heute wichtiger denn je. Was bedeutet das für Ihr Unternehmen?
Reimann: Natürlich ist Nachhaltigkeit ein großes Thema. Viele denken immer noch, dass sie automatisch grün fahren, sobald sie ein Elektroauto fahren. Das ist aber gar nicht unbedingt korrekt, denn der Strom, den man an der Ladesäule lädt, kommt zumindest teilweise aus fossilen Quellen oder stammt aus Atomkraftwerken. Natürlich ist auch Ökostrom dabei, aber häufig wird ein Mix angeboten. Wir und viele unserer Partner setzen deshalb auf ein Grünstrom-Angebot. Dabei wird für jede Kilowattstunde, die aus dem Stromnetz rausgezogen wird, eine Kilowattstunde garantiert grüner Energie eingespeist. Aus unserer Sicht muss Laden langfristig nachhaltig werden. Und das kann es nur werden, wenn betriebswirtschaftliche Mechanismen greifen. Das heißt, dass es sich für Ladestrukturanbieter lohnen muss, in nachhaltige Energieformen zu investieren.


Strehlau: Sehr geehrter Herr Reimann, ich bedanke mich ganz herzlich für das Gespräch. 

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