ERLESEN

Die Unabhängigkeit des Restrukturierungsbeauftragten und des Insolvenzverwalters muss gewahrt werden

Der Gesetzentwurf zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (SanInsFoG) sorgt derzeit für Diskussionen in Fachkreisen. Im Januar 2021 soll das neue deutsche Restrukturierungsrecht in Kraft treten. Darüber sprachen Prof. Heribert Hirte, stellvertretender Vorsitzender des Ausschusses Recht und Verbraucherschutz im Bundestag und Berichterstatter der CDU/CSU-Bundestagsfraktion für das Insolvenzrecht und BDU-Präsident Ralf Strehlau.

Ralf Strehlau: Wir erleben herausfordernde Zeiten, auch im Wirtschaftsgeschehen. Mit dem „COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetz“ hatte sich die Bundesregierung Luft im Kampf gegen eine Insolvenzwelle verschafft. Nun gilt die Insolvenzantragspflicht für zahlungsunfähige Firmen wieder. Ab 1. Januar 2021 fällt die zwischenzeitliche Aussetzung auch für überschuldete Unternehmen weg. Kommt dann der Insolvenz-Tsunami?

Prof. Hirte: Ich bin kein Freund dieser apologetischen Szenarien oder Wortspiele. Gerade in einer solchen Krise und in Zeiten der wirtschaftlichen Unsicherheit müssen wir in der Politik Signale der Verlässlichkeit geben, diese aber dann auch liefern. Deswegen reagieren wir im Insolvenzrecht entschlossen und zügig. Natürlich haben wir die Sorge, dass es Rückschläge geben könnte. Die aktuellen Wirtschaftszahlen und die Kurse an den Aktien­märkten zeigen das in dieser Schärfe aber bislang nicht. Die Spekulationen über die Höhe von mutmaßlich nun zwangsläufig eintretenden Insolvenzen halte ich für zu alar­mistisch. Wir sehen natürlich, dass es Bereiche gibt, die besonders betroffen sind, und bei denen wir auf mittlere Frist auch nicht wissen, ob sie sich auf Vorkrisenniveau erholen können - Kunst- und Kulturveranstaltungen, Luftfahrtgesellschaften, Hotels und die Gastronomiebranche beispielsweise. In anderen Branchen setzen nun beschleunigte Transformationsprozesse ein, die es aber vielleicht auch ohne Corona gegeben hätte.

 

Ralf Strehlau: Nun befindet sich zurzeit mit dem Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (SanInsFoG) der von der EU geforderte Präventive Restrukturierungsrahmen in der nationalen Umsetzung. Daran knüpfen sich große Hoffnungen, auch für uns als Sanierungs- und Restrukturierungsberater. Zu Recht?

Prof. Hirte: Erstmal ist es richtig und gut, dass das Bundesministerium der Justiz unserer Fraktion nun folgt. Als CDU/CSU haben wir uns bereits 2015 aktiv in den Richtliniensetzungsprozess der europäischen Restrukturierungsrichtlinie durch einige Stellungnahmen eingebracht. Erst im Laufe der Pandemie konnten wir das Ministerium überzeugen, dass dieser Schritt nun eilig geboten ist. Wir schließen mit der Einführung des Stabilisierungs- und Restrukturierungs­rahmens als Teil des SanInsFoG die Lücke zwischen außergerichtlicher, einvernehmlicher Restrukturierung - bei der allerdings sämtliche Gläubiger zustimmen müssen - und dem Insolvenzverfahren, dem nach wie vor der Makel der Insolvenz anhaftet. Dies macht den Restrukturierungsstandort Deutschland im internationalen Kontext wettbewerbsfähig. Das begrüße ich ausdrücklich.

 

Ralf Strehlau: Worin sehen Sie persönlich den größten Mehrwert des neuen SanInsFoG?

Prof. Hirte: Eine frühzeitige Sanierung kann Unternehmen retten, die aufgrund von Krisen oder eigenen Fehlern in Not geraten, selbst aber weiterhin eine wirtschaftliche Perspektive haben. Die Erfahrungen der Pandemie zeigen uns nun ausdrücklich, dass wir solche Regelungen brauchen. Das kann Händlern, Handwerkern oder auch dem industriellen Mittelstand zu echten Sanierungschancen verhelfen. Dabei vergessen dürfen wir natürlich nicht die Gläubiger und Kreditgeber, deren Interessen auch in der Krise ihres Vertragspartners gewahrt bleiben müssen. Ähnliche rechtliche Schritte wie das SanInsFoG folgen außerdem jetzt quer durch die Mitgliedsländer der EU. Ein gestärktes Sanierungs- und Insolvenzrecht verringert die Ausfallrisiken innerhalb unserer gemeinsamen Kapitalmarktunion. So stärken wir nachhaltig die Wirtschaftskraft und die volkswirtschaftliche Widerstandsfähigkeit des Standorts Europa, der europäischen Banken – und damit auch des Euro.

 

Ralf Strehlau: Inwieweit kann man sagen, dass das neue Instrument die Bedeutung von externer, betriebswirtschaftlicher Expertise in künftigen Restrukturierungsprozessen nochmals erhöht?

Prof. Hirte: Durch die Einführung der Möglichkeit einer Sanierungsmoderation beispielsweise wird die bisher gelebte Praxis, auf externe rechtliche und betriebswirtschaftliche Expertise für die Vermittlung zwischen Gläubigern und Schuldner während einer vorinsolvenzlichen Sanierung zurückzugreifen, in gesetzliche Bahnen gegossen. In der bereits erwähnten Stellungnahme haben wir als Fraktion schon im Vorfeld der Restrukturierungsrichtlinie gefordert, dass dem Schuldner ein erfahrener und unabhängiger Moderator zur Seite gestellt wird. Damit soll sichergestellt sein, dass Gläubiger nicht geschädigt und gegenläufige Interessen zusammengeführt werden. Die gesetzlichen Anforderungen an die Restrukturierung dürfen allerdings nicht dazu führen, dass eine Restrukturierung ohne teure externe Berater insbesondere für kleinere Unternehmen nicht mehr zu stemmen ist. Das ist auch eine meiner rechtspolitischen Überzeu­gungen: Die Regelungen müssen einen echten volkswirtschaftlichen Mehrwert generieren. Deshalb meine ich auch: Die Höhe der Vergütung bedarf der Offenlegung – anders als dies § 64 Abs, 2 InsO-RegE jetzt will. Das, was wir – ebenfalls auf europäisches Recht zurückgehend – im Rahmen des ARUG II gerade für die Vorstände börsennotierter Aktiengesellschaften nachgeschärft haben, gilt erst recht für den „Unternehmensführer in der Krise".

 

Ralf Strehlau: Unternehmen sollen verpflichtet werden, ein aussagekräftiges Frühwarnsystem zu etablieren. Was hat den Gesetzgeber dazu bewogen?

Prof. Hirte: Um es kurz zu halten: Eine echte Sanierungsperspektive besteht nur dann, wenn dem Unternehmen seine wirtschaftliche Lage frühzeitig bewusst ist. Wir möchten mit dem StaRUG ja nicht die Insolvenz als solche systematisch umgehen, sondern vielmehr den Unternehmen eine Sanierung ermöglichen, die tatsächlich eine Fortführungsperspektive haben. Dazu sind die Unternehmen zur vorausschauenden Planung angehalten. Wenn Sie so wollen, ist das Frühwarnsystem eine Selbstdis­ziplinierung von außen. Bei der deutlichen Ausweitung der Geschäftsleiter­haftung (§ 3 i.V.m. § 2 StaRUG-RegE) habe ich aber bislang Zweifel, dass sie die ihr zugeschriebenen präventiven Effekte in diesem Punkt haben soll.

 

Ralf Strehlau: In seiner Stellungnahme zum Referentenentwurf haben BDU und sein Fachverband Sanierungs- und Insolvenzberatung unter der Leitung von Burkhard Jung angemahnt, die Rollen von Restrukturierungsbeauftragten und Insolvenzverwaltern aus Gründen der möglichen Interessensvermischung klar zu trennen. Die Unabhängigkeit ist für uns ein hohes Gut, das auch unsere verbandlichen Berufsgrundsätze zentral kennzeichnet. Wie bewerten Sie eine solche Regelung?

Prof. Hirte: Die Unabhängigkeit sowohl des Restrukturierungsbeauftragten als auch des Insolvenzverwalters muss gewahrt werden. Es darf nicht die Gefahr entstehen, dass sich beispielsweise Vergütungsanreize als potenzieller Insolvenzverwalter negativ auf die Tätigkeit als Restrukturierungsbeauftragter und damit auf die Erfolgschancen der vorinsolvenzlichen Sanierung auswirken. Ob es für die Zulässigkeit einer Personenidentität zwischen Restrukturierungsbeauftragtem und Insolvenzverwalter genügt, dass der vorläufige Gläubigerausschuss zustimmt, wird im weiteren parlamentarischen Verfahren zu klären sein. Ich habe da meine Zweifel. Schließlich hat auch die ESUG-Evaluation gezeigt, dass die gerichtliche Auswahl des Insolvenzverwalters – der Sache nach eine „Vergabeentscheidung“ – Risiken für Manipulation und Missbrauch bietet.

 

Ralf Strehlau: Wir befürworten weiterhin, dass der begleitende Sanierungsberater zum Restrukturierungsbeauftragten gemacht werden kann. Qualitätsorientierte Anforderungsprofile sind für uns dabei eine entscheidende Voraussetzung. Vorschläge hierzu haben wir bereits bei der Stellungnahme zum Präventiven Restrukturierungsrahmen unterbreitet. Decken sich diese mit den Anforderungen des Gesetzgebers?

Prof. Hirte: Entscheidend für die Bestellung des Restrukturierungsbeauftragten ist zunächst, dass der Beauftragte die für den jeweiligen Fall erforderliche Sachkunde besitzt. Natürlich muss er auch unabhängig und unparteiisch sein. Diese Anforderungen wurden durch den Regierungsentwurf im Vergleich zum Referentenentwurf noch einmal durch den Verweis auf Steuerberater, Wirtschaftsprüfer oder Rechtsanwälte deutlich gemacht. Es kann aber auch eine sonstige natürliche Person mit vergleichbarer Qualifikation die Rolle des Restrukturierungsbeauftragten übernehmen. Dazu können auch Sanierungsberater zählen. Gerade im Hinblick auf den Zugang kleiner und mittelständischer Unternehmen (KMU) zum Verfahren sehe ich hier viel Potenzial. Ob die Anforderungen im Einzelfall erfüllt sind, darüber entscheidet dann das Gericht.

 

Ralf Strehlau: Zum 1. Januar 2021 soll das neue deutsche Restrukturierungsrecht in Kraft treten. Die Bundesregierung hat sich damit ein ehrgeiziges Ziel gesetzt, was wir als BDU in hohem Maße begrüßen. Wie optimistisch sind Sie, dass der Termin gehalten werden kann?

Prof. Hirte: Ich bin immer optimistisch, aber das lässt mich nicht über die noch bestehenden Sachmängel des Entwurfs hinwegblicken (lacht). Wir arbeiten im Insolvenzrecht seit Beginn der Pandemie wirklich mit allem was wir haben. Aber wir sollten weiterhin auch die Bedenken gegen den bisherigen Gesetzesentwurf gut überlegt diskutieren. Hier zeigt sich übrigens ein deutlicher Stimmungswandel bei den Rückmeldungen, die ich zu dem Gesetzentwurf bekomme: Die anfangs positive Grundstimmung gegenüber dem sicher ambitionierten Projekt ist zwischenzeitlich einer bisweilen sogar vernichtenden Kritik gewichen, gerade was die Nutzbarkeit des Instruments für KMU angeht – auf die es uns besonders ankam. Insbesondere in der derzeit angespannten wirtschaftlichen Lage wäre ein nicht praktikables Gesetz noch einmal fataler in seinen Auswirkungen. Lösen wir aber gemeinsam im parlamentarischen Verfahren alle Bedenken und Sorgen, dann kann es auch schnell gehen.

 

Ralf Strehlau: Sehr geehrter Herr Professor Hirte, ich bedanke mich ganz herzlich für das Gespräch!

 

Bildquellen
Foto Prof. Hirte: Tobias Koch | Foto Strehlau: BDU

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